Weizenallergie

Weizen ist in letzter Zeit in Verruf geraten. Wer unter Bauchschmerzen, Blähungen oder Völlegefühl leidet, führt das nicht selten auf das Getreide zurück und verzichtet vorsichtshalber auf Brot, Nudeln und Pizza. Doch vor einer Ernährungsumstellung sollte man ärztlich klären lassen, ob tatsächlich der Weizen die Symptome verursacht und wenn ja, um welches Beschwerdebild es sich handelt: Allergie, Zöliakie oder Weizensensitivität? Schließlich entscheidet sich anhand des Befundes, ob nur auf Weizen oder auch auf andere Getreidearten verzichtet werden muss und wie konsequent die Diät einzuhalten ist.

Eine Weizenallergie tritt bei Erwachsenen selten auf, kann aber potentiell lebensbedrohlich verlaufen. Weizen ist das Nahrungsmittel, das bei Menschen über 18 Jahren am häufigsten eine schwere allergische Sofortreaktion (Anaphylaxie) auslöst. Das belegen Studiendaten für die Länder Deutschland, Österreich und Schweiz.

Im Allgemeinen ist die Weizenallergie – ähnlich wie die Allergien gegen Milch und Ei – eine Allergie des Kindesalters. In Europa leiden etwa 0, 3 Prozent aller Kinder unter 5 Jahren an einer Weizenallergie. Das konnte anhand sogenannter Provokationstests nachgewiesen werden. Insgesamt sind etwa 0,1 Prozent aller Europäer von der Allergie betroffen.

Auslöser

Weizen enthält verschiedene Eiweiße (Proteine), die allergen wirken können: Einige gehören zur Gruppe der Weizenalbumine und –globuline, andere zur Fraktion des Glutens (Klebereiweiße).

Bei der so genannten primären Weizenallergie wird die Reaktion nach heutigen Kenntnissen durch den Allergenkontakt mit der Darmschleimhaut ausgelöst. Von diesem Typ sind vor allen Dingen Kinder betroffen.

Auch das Einatmen von Weizenmehl-Staub kann eine Allergie bewirken. Sie betrifft hauptsächliche Menschen, die im Backhandwerk arbeiten. Das sogenannte Bäckerasthma ist eine der häufigsten berufsbedingten Atemwegserkrankungen. Die Betroffenen leiden unter allergischem Schnupfen und/oder asthmatischen Beschwerden – vertragen Weizen aber meist als Nahrungsmittel (Bäckerasthma kann übrigens auch durch die Stäube anderer Backzutaten wie Roggen oder Soja ausgelöst werden).

Beschwerden

Eine Weizenallergie kann an verschiedenen Organen leichte aber auch heftige allergische Reaktionen verursachen. Ist der Magen-Darm Trakt betroffen, kommt es zu Bauchschmerzen, Erbrechen oder Durchfall. Die Schleimhaut im Mund- und Rachenraum kann wenige Minuten bis Stunden nach der Aufnahme kribbeln oder anschwellen, auch die Haut ist möglicher Schauplatz allergischer Reaktionen: Neben Juckreiz oder Nesselsucht kann eine Weizenallergie Neurodermitis-Schübe verstärken oder auslösen. In manchen Fällen sind die Atemwege beteiligt und es kommt zu allergischem Schnupfen oder asthmatischen Beschwerden. Schwere Reaktionen sind ebenfalls möglich – bis hin zum anaphylaktischen Schock mit Atemnot und Kreislaufstillstand.

Weizenallergie im Kindesalter

Nicht selten treten allergische Reaktionen wenige Minuten bis Stunden nach den ersten weizenhaltigen (Brei-)Mahlzeiten auf. Es gibt aber auch zeitverzögert einsetzende Symptome, zum Beispiel kann sich ein bis zwei Tage nach der Weizenaufnahme ein Ekzem verschlechtern. Insgesamt ist die Prognose der Weizenallergie gut. Ähnlich wie die Kuhmilch- und  Hühnereiallergie klingt sie meist bis zum Teenageralter ab. Damit die Kinder nicht unnötig lange auf Weizen verzichten müssen, kann der Allergologe bzw. die Allergologin zwölf bis 18 Monate nach der Diagnose erneut testen, ob die Allergie noch besteht.

Weizenallergie im Erwachsenenalter

Von Bedeutung (wenn auch selten) ist eine Sonderform der Weizenallergie, die mit dem Akronym WDEIA bezeichnet wird (engl.: wheat dependent exercise induced anaphylaxis/dt.: weizenabhängige anstrengungsinduzierte Anaphylaxie). Sie kann einen sehr schweren Verlauf nehmen.

Das Besondere an der WDEIA: Die betroffenen Erwachsenen und Jugendlichen vertragen normalerweise Weizen. Zu allergischen Reaktionen kommt es, wenn sie sich körperlich anstrengen nachdem sie weizenhaltige Lebensmittel gegessen haben. Neben Sport sind auch andere Trigger wie Alkohol, (Schmerz-)Medikamente, Stress oder hormonelle Faktoren wie die monatliche Regelblutung bei Frauen bekannt. Trifft einer dieser verstärkenden Faktoren mit der Weizenaufnahme zusammen, machen sich 30 Minuten bis sechs Stunden später allergische Reaktionen bemerkbar: die Haut juckt, es zeigen sich Quaddeln, Nesselsucht oder Gesichtsschwellungen. Auch Bauchschmerzen, Durchfall oder Erbrechen können auftreten. In einigen Fällen kommt es zu Atemnot, Blutdruckabfall und Herzrasen bis hin zum Kreislaufstillstand.

Diagnoseverfahren

Ob eine Weizenallergie vorliegt, klärt der Arzt oder die Ärztin zunächst in einem Gespräch über die Beschwerden und Ernährungsgewohnheiten. Manchen Betroffenen wird geraten, ein Ernährungstagebuch zu führen, in dem sie verzehrte Nahrungsmittel und Symptome notieren. Der Verdacht auf eine Allergie wird mit einem Haut– und/oder Bluttest weiter abgesichert. Diese Tests zeigen eine Allergiebereitschaft für einen bestimmten Stoff an, sie können jedoch keine Allergie beweisen. Deshalb wird im Zweifelsfall ein weiteres Diagnoseverfahren herangezogen: Der Provokationstest. Dafür ernähren sich die Betroffenen einige Zeit allergenfrei. Im Anschluss werden ihnen unter ärztlicher Kontrolle geringe Mengen Weizenprotein verabreicht. So kann überprüft werden, ob Weizen tatsächlich allergieauslösend ist oder ob es von der Liste der verdächtigen Stoffe gestrichen werden kann.

Bei Verdacht auf eine WDEIA wird im Bluttest nach Antikörpern gegen Omega-5-Gliadin gesucht – das Hauptallergen dieser speziellen Weizenallergie. Wird ein Provokationstest vorgenommen, wird nicht nur das Weizenprotein verabreicht, sondern auch der vermutete Trigger simuliert. Beispielsweise durch körperliche Belastung auf dem Fahrradergometer.

Verursacht Weizen Magen-Darm-Probleme, sollte nicht nur eine Allergie, sondern auch eine Zöliakie ausgeschlossen werden. Bei dieser schweren Erkrankung bildet der Organismus Antikörper gegen Gluten (das nicht nur im Weizen, sondern auch in anderen Getreidearten steckt). Es kommt zu chronischen Entzündungen im Dünndarm und zur Rückbildung der Dünndarmzotten. Neben Blähungen und Bauchschmerzen sind Durchfälle häufig, aber auch Symptome, die durch mangelnde Aufnahme von Mineralien und Vitaminen entstehen (wie Eisenmangel und Osteoporose). Auch Gelenke, Leber, Haut und Nervensystem können betroffen sein. Diagnostiziert wird eine Zöliakie durch den Nachweis spezifischer Antikörper, durch eine genetische Analyse und anhand einer Gewebeprobe aus dem Dünndarm. Die Diagnose ist nur möglich, wenn sich der/die Betroffene glutenhaltig ernährt. Wird bereits länger auf Brot und Nudeln verzichtet, kann die Erkrankung zu diesem Zeitpunkt nicht festgestellt werden. Wird eine Zöliakie diagnostiziert, müssen sich die Betroffenen streng glutenfrei ernähren, da bereits geringe Mengen Gluten die Darmschleimhaut schädigen.

Ähnliche Magen-/Darmbeschwerden wie eine Weizenallergie kann auch eine sogenannte Nicht-Zöliakie-Nicht-Allergie-Weizensensitivität verursachen. Dieses Beschwerdebild ist bislang nicht eindeutig beschrieben. Es ist unklar, ob dabei auf Gluten oder auf andere Bestandteile des Weizens reagiert wird. Bei der Weizensensitivität kommt es zu Bauchschmerzen, Blähungen, teilweise auch zu Durchfällen; die Betroffenen berichten von Müdigkeit, Kopfschmerzen und Muskel-/Gelenkbeschwerden. Die Diagnose Weizensensitivität wird als Ausschlussdiagnose gestellt: Zeigen die Untersuchungsergebnisse, dass keine Allergie und keine Zöliakie vorliegen und verschwinden die Symptome unter glutenfreier Diät, kann man eine Weizensensitivität erwogen werden. Insgesamt wird die Existenz einer Nicht-Zöliakie-Nicht-Allergie-Weizensensitivität in der medizinischen Fachwelt kontrovers diskutiert.

Therapie

Die Ursachen einer Weizenallergie lassen sich bisher nicht effektiv behandeln. Daher müssen die Betroffenen versuchen, Weizen zu meiden. Dabei sollten sie nicht nur auf Produkte mit Weizenmehl, – stärke oder Weizenpanade verzichten. Auch Getreidesorten, die weizenähnlich sind (Dinkel, Grünkern, Kamut oder Emmer) können unverträglich sein. Glutenfreie Lebensmittel sind übrigens nicht zwangsläufig unbedenklich für Menschen mit einer Weizenallergie. Sie können theoretisch andere allergene Weizeneiweiße enthalten.

Ist eine WDEIA diagnostiziert, müssen die Betroffenen nicht in jedem Fall dauerhaft auf Weizen verzichten. Wenn sie die Triggerfaktoren kennen, genügt es oft, die Auslöser bis zu sechs Stunden nach Weizenverzehr zu vermeiden. Ob eine weizenfreie Diät notwendig ist, entscheidet sich je nach individueller Vorgeschichte. Um im Falle einer anaphylaktischen Reaktion gewappnet zu sein, sollten die Betroffenen aber ein Notfallset bestehend aus Adrenalinautoinjektor, Kortikosteroid  und Antihistaminikum bei sich tragen. Das gilt auch für Menschen mit einer schweren (klassischen) Weizenallergie, bei denen bereits kleinste Mengen Weizeneiweiß anaphylaktische Reaktionen hervorrufen.

Prof. Dr. med. Dr. h.c. T. Zuberbier
Letzte Änderung: Juli 2016