8. Dezember 2016
“Unsere neue Methode polarisiert – sie hat sowohl Fans als auch Gegner“

Prof. Dr. Carmen Lamacchia, Italien, zu Ihrer neuen Methode, Gluten durch hohe Hitzeeinwirkung für alle verträglich machen zu wollen.

Berlin, 8.12.2016 – Die Forscherin Prof. Dr. Carmen Lamacchia von der Universität in Foggia, Italien, will eine Methode entwickelt haben, mit der sie Gluten in Getreide für Zöliakie-Patienten unschädlich machen kann. Abschließende Untersuchungen darüber, ob das nach dem neuen Verfahren behandelte Getreide für Menschen mit Zöliakie tatsächlich verträglich ist, stehen allerdings noch aus. Die bislang veröffentlichten Studien* werden unter Wissenschaftlern intensiv diskutiert und haben ein breites Medienecho ausgelöst. Denn: Falls die innovative Methode erfolgreich anwendbar sein sollte, könnte sie das Leben von Menschen mit Zöliakie deutlich erleichtern. In jedem Fall  würde sie den Lebensmittelmarkt verändern, der sich in den letzten Jahren hin zu einem breiten Angebot an glutenfreien Produkten entwickelt hat.

In Deutschland gibt es schätzungsweise rund 800.000 Menschen, die an der chronischen Darmkrankheit Zöliakie leiden. Betroffene reagieren dabei auf Gluten, das vom Immunsystem fälschlicherweise als schädlich eingestuft wird. Die bisher einzige Behandlungsmöglichkeit der Zöliakie ist eine lebenslange glutenfreie Ernährung. Da Gluten in vielen Lebensmitteln enthalten ist, müssen Menschen mit Zöliakie auf vieles verzichten oder auf spezielle, glutenfreie Produkte zurückgreifen.

ECARF sprach mit Professor Lamacchia über ihre Lösung, die Gluten für Zöliakie-Patienten verträglich machen soll.

E: Wie funktioniert Ihre Methode, mit der das Klebereiweiß Gluten für Zöliakie-Patienten unschädlich gemacht werden soll?

CL: Ungemahlene, hydratisierte Weizenkörner werden kurzzeitig hoher Temperatur in der Mikrowelle ausgesetzt. Das bewirkt im Gluten signifikante Veränderungen wie eine reduzierte Antigenität [1] und Immunogenität [2] des Proteins.

E: Gemäß der EU-Verordnung 41/2009 darf ein glutenfreies Produkt, das für eine Diät bei Zöliakie-Patienten geeignet ist, nicht mehr als 20mg Gluten pro Kilo enthalten. Die Werte Ihres hitzebehandelten Weizens sind deutlich höher. Trotzdem nehmen Sie an, dass das hitzebehandelte Getreide von Zöliakie-Patienten ohne gesundheitliche Schäden konsumiert werden kann.

CL: Diese Technologie ist strukturverändernd, das heißt, sie führt zu Veränderungen des Weizenproteins Gluten. Dadurch verringert sich die Immunogenität der meisten Epitope [3], die an der Zöliakie beteiligt sind, dramatisch. Die Methode zielt nicht darauf ab, die Menge an Gluten zu reduzieren, sondern die chemischen Eigenschaften des Glutens zu verändern, sodass die beschwerdeverursachenden Epitope keinen Schaden mehr anrichten können. Das ist kein quantitativer, sondern ein qualitativer Effekt, die Menge des Glutens ist nicht mehr relevant.

Gegenstand weiterer Untersuchungen wird es sein, die auftretenden molekularen Veränderungen zu verstehen und wie diese Veränderungen sich auf Verdaulichkeit, Vorkommen und die Nachverdauung potentiell antigener Fragmente auswirken. Weitere Studien befassen sich in umfangreicheren immunologischen und klinischen Versuchen auch mit der Reaktivität von Zöliakie-Patienten auf diese Produkte.

E: Haben Sie diese These bereits mit Probanden überprüft ? Wenn ja, wie groß war Ihre Studie und welche Faktoren sind untersucht worden? Gibt es erste Ergebnisse?

CL: Augenblicklich legen wir den Schwerpunkt auf klinische Studien zur Reaktivität der Produkte bei Zöliakie-Patienten.

E: Werden Geschmack und Backeigenschaften des Weizens durch die Wärmebehandlung verändert?

CL: Obwohl die Behandlung in der Mikrowelle zu einer tiefgreifenden Veränderung der Eigenschaften des Glutens führt, bleiben in den Mehlen die meisten der plastischen Charakteristika des Glutens erhalten und machen die Säuerung und Herstellung von Brot mit herausragenden sensorischen Eigenschaften möglich.

E: Können auch Getreideallergiker von Ihrer Methode profitieren?

CL: Das wissen wir noch nicht. Ein Teil unserer derzeitigen Bemühungen richtet sich darauf, Potenzial und Ausmaß unserer Methode vollständig zu verstehen.

E: Kann Ihre Methode auf alle Getreidearten angewendet werden, die Gluten enthalten?

CL: Ja.

E: Einige der Zöliakie-Betroffenen reagieren gegenüber Ihrer Erfindung reserviert. Können Sie verstehen, warum?

CL: Unsere neue Methode polarisiert, sie hat sowohl Fans als auch Gegner. Wir bemühen uns, für die neue Technologie soziale Akzeptanz zu erreichen, damit jeder die Vorteile einer glutenhaltigen Ernährung wahrnehmen kann.

E: Gemeinsam haben Sie mit Partnern die Firma New Gluten World (NGW) gegründet. Was ist deren Aufgabe?

CL: NGW soll zu allererst die „glutenfreundliche“ Methode auf dem internationalen Markt einführen. Damit würde sie in bedeutendem Maße zur Überwindung der Ernährungstrennlinie beitragen, unter der von Zöliakie, Intoleranz und Glutensensitivität Betroffene leiden. Es wäre ein Beitrag nicht nur zu einem besseren physischen, sondern auch besseren psychischen und ökonomischen Wohlbefinden der Patienten.

carmela_lamacchia
Foto: Prof. Dr. Lamacchia

Wir danken Prof. Dr. Lamacchia für dieses Interview. Mit ihr sprach Matthias Colli von ECARF.

 Glossar

[1] Antigenität bezeichnet die Fähigkeit einer Substanz, sich mit einem menschlichen Antikörper zu verbinden. Eine Substanz mit geringer Antigenität wird vom Körper nicht erkannt und in der Folge auch nicht abgewehrt.

[2] Immunogenität ist die Fähigkeit des Antigens eine Immunantwort auszulösen (s. auch Antigentiät).

[3] Ein Epitop ist der Molekülabschnitt des Antigens, der eine Immunantwort auslösen kann.

*Studien

Lamacchia C., Landriscina L., D’Agnello P. Changes in wheat kernel proteins induced by microwave treatment. Food Chemistry, 2016 Apr 15;197(Pt A):634-40. doi: 10.1016/j.foodchem.2015.11.01
Lamacchia C., Di Luccia A., Gianfrani C. Method for the detoxification of gluten proteins from grains of cereals. BioVariaCongress, Europe’s top technologies, Munchen, Germany. 2015; available at http://www.biovaria.org/past-event/technologies.
L. Landriscina, P. D’Agnello, A. Bevilacqua, M.R. Corbo, M. Sinigaglia and C. Lamacchia. Impact of Gluten Friendly technology on wheat kernel endosperm and gluten protein structure in seeds by light and electron microscopy. Food Chemistry(2016),http://dx.doi.org/10.1016/j.foodchem.2016.11.031
A. Bevilacqua,  A. Costabile, T. Bergillos-Meca, I. Gonzalez, L. Landriscina, E. Ciuffreda, M.R. Corbo, M., Sinigaglia and C. Lamacchia. (2016). Impact of gluten-friendly bread on the metabolism and function of in vitro gut microbiota in healthy humans and coeliac subjects.PLoS One. http://dx.doi.org/10.1371/journal.pone.0162770.