Der Auslöser ist klar: Hinter der Allergie steckt ein ganz bestimmter Zucker, der sich im Fleisch aller Säugetiere außer Affen und Menschen findet: α-Gal, so heißt dieses Zuckermolekül – mit vollem chemischem Namen Galactose-alpha-1,3-Galactose.
Zucker in der Zecke
Zecken sind aber definitiv keine Säugetiere, sie gehören zu den Spinnen. Wie also kommt α-Gal in die Zecken? Tatsächlich ist diese Frage noch nicht geklärt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: α-Gal könnte im Speichel der Zecke sein. Vielleicht aber hat die Zecke auch α-Gal vorher mit dem Blut aus einem Säugetier gesaugt und sozusagen zwischengespeichert, bevor es mit einem weiteren Zeckenbiss in die menschliche Blutbahn gelangt. Eine dritte Variante wäre, dass α-Gal aus Mikroorganismen stammt, die in der Zecke leben – dazu zählen bestimmte Bakterien wie Rickettsien, die beispielsweise Fleckfieber verursachen, oder Borrelien, die Erreger der Borreliose. Fakt ist: Irgendwie kommt α-Gal von der Zecke in den Menschen.
Erst Fleisch, dann Allergie
Ab dann ist der Weg wieder klar: Gelangt α-Gal durch den Zeckenstich in die Blutbahn, bildet der Körper IgE (Immunglobulin E). Weiter passiert noch nichts.
Erst beim zweiten Kontakt, zum Beispiel beim nächsten Essen von rotem Fleisch – sei es Rindersteak, Schweineniere, Lammkotelett oder Wildragout – entwickelt sich die Allergie. Der Körper erinnert sich an α-Gal und versucht den vermeintlich gefährlichen Eindringling schnell zu bekämpfen.
Grundsätzlich ist die Idee nicht schlecht. IgE sind Antikörper, die dem Körper helfen, Parasiten abzuwehren. Aber: Sie verursachen auch Allergien, also viel zu starke Immunreaktionen des Körpers auf Stoffe, der ihm eigentlich gar nicht schaden – wie α-Gal. Der Zucker ist für Menschen an sich völlig harmlos. Das Immunsystem ordnet ihn schlicht falsch zu.
Daraus können dann allergische Extremsituationen entstehen, wie die lebensbedrohliche anaphylaktische Reaktion (Anaphylaxie). Unbehandelt kann sie bis zum Kreislaufversagen und damit zum Tod führen.
Häufig in den USA
Im Süden der USA passiert das immer häufiger. Eine Forschungsgruppe der Universität Tennessee fand heraus, dass die α-Gal Fleischallergie inzwischen sogar die häufigste Ursache für Anaphylaxien ist – zwischen 2006 und 2016 waren 33% von 218 Fällen auf die Fleischallergie zurückzuführen (Pattanaik 2018).
Weil die Lone-Star-Zecke vor allem in den südöstlichen Staaten der USA und Mexiko vorkommt, sind dort inzwischen viele Menschen von einer Allergie gegen rotes Fleisch betroffen.
Andere Länder, andere Zecken
Allerdings beschränkt sich die α-Gal Fleischallergie nicht auf den Süden der USA. In anderen Ländern führen andere Zecken in die Allergie. Schildzecken (lat. Ixodidae) sind als Überträger aus Australien bekannt – dort vor allem die „weiße Zecke“ (Ixodes holocyclus), die im östlichen australischen Busch vorkommt. In Europa ist der bekannteste Überträger der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus).
Auch in Deutschland, vor allem im Süden, gibt es das α-Gal-Syndrom. Bei WaldarbeiterInnen ist es sogar recht häufig. Eine Untersuchung der Technischen Universität München zeigt: Mehr als jede/r Dritte der untersuchte Waldarbeiter- und JägerInnen weisen IgE-Antikörper gegen α-Gal auf (Fischer 2016). 100 Fälle der Allergie sind aus Deutschland bekannt. Je häufiger man von Zecken gestochen wird, desto größer scheint das Risiko für eine Fleischallergie zu werden.
Die Sensibilisierung gegenüber α-Gal findet sich letztlich bei Menschen aus allen Teilen der Welt. Die Zahl unterscheidet sich aber je nach Region stark. Im Norden Europas sind fünf von 100 Menschen sensibilisiert, in Südeuropa bereits acht von 100 (Gonzalez-Quintela 2014).
Nicht nur im Sommer
Schuld daran ist unter anderem das Wetter, denn Zecken lieben es feucht und warm. Die Zeckenzeit startet also dann, wenn es draußen mehrere Tage hintereinander mindestens sieben Grad warm ist. Derartige Temperaturen gibt es im Süden häufiger als im Norden. Bei Temperaturen unter sieben Grad fallen die Zecken in Winterstarre. Grob gesagt, muss man in Deutschland also zwischen Ende Februar und Oktober mit Zecken rechnen, bei milden Wintern auch darüber hinaus.
Häufig ist die α-Gal Sensibilisierung in Deutschland nicht. Wenn es allerdings nach einem Zeckenbiss zu einer Fleischallergie kommt, könnte α-Gal dahinter stecken.
Referenzen
Pattanaik D et al. The changing face of anaphylaxis in adults and adolescents. Ann Allergy Asthma Immunol. 2018;121(5):594–7.
Gonzalez-Quintela A et al. IgE antibodies to alpha-gal in the general adult population: relationship with tick bites, atopy, and cat ownership. Clin Exp Allergy. 2014;44(8):1061-8.