Das menschliche Mikrobiom

Mensch und Bakterien gehören zusammen. Die bakterielle Besiedelung schützt den Körper vor Krankheitserregern. Die ersten Bakterien erhalten Neugeborene von ihren Müttern.

Auf und im Körper tummeln sich etwa genauso viele Kleinstlebewesen (Mikroorganismen) wie der Mensch Zellen hat, man geht von 30 Billionen (3 x 1012) Zellen aus. Die meisten Mikroorganismen sind Bakterien, aber auch Pilze, Viren und die Urbakterien (die kernlosen Einzeller Archaea) gehören dazu. All diese Kleinstlebewesen braucht der Körper, um gesund zu bleiben. Der richtige Mix hilft Krankheitserreger abzuwehren und schützt vor Allergien.

Mikroorganismen besiedeln Haut und Schleimhäute, finden sich aber auch in inneren Organen. Die Gesamtheit aller Mikroorganismen in einem Lebensraum wird  Mikrobiom genannt. Im Darm-Mikrobiom leben die meisten Mikroorganismen.

Bakterien und menschliche Zellen im Gleichgewicht

Auch heute noch wird häufig behauptet, dass ein Mensch zehnmal mehr Bakterien habe als eigene Zellen. Diese Annahme beruht auf einer fast 50 Jahre alten Berechnung eines US-amerikanischen Chemikers, der das menschliche Mikrobiom anhand der Gesamtfläche des Verdauungstraktes und der dortigen Bakteriendichte berechnet hat (Luckey 1972). Was er nicht wusste: Im oberen Magendarmtrakt, also vom Mund bis in den Dünndarm, herrscht ein so saures Milieu, dass dort nur wenige Bakterien überleben. Erst ab dem unteren Dünndarmdrittel und im Dickdarm finden Mikroorganismen optimale Lebensbedingungen.

Mit diesem Wissen haben Forschende vom Wissenschaftsinstitut Weizmann im israelischen Rehovot das Darm-Mikrobiom neu berechnet (Sender 2016). Herausgekommen ist ein fast ausgeglichenes Verhältnis zu den menschlichen Zellen (Sender 2016).  Ein 70 Kilogramm schwerer Erwachsener hat rund 38 Billionen (3,8 x 1012) Bakterien.

Das Mikrobiom-Starter-Kit kommt von der Mutter

Aktuell streiten sich die WissenschaftlerInnen noch, ob Kinder schon im Mutterleib mit den ersten Bakterien in Kontakt kommen oder erst bei der Geburt über den Geburtskanal und den Kontakt mit der Außenwelt.

Bisher ging man davon aus, dass die Gebärmutter „steril“ ist, also keine Keime enthält. Mehrere Studien rütteln aber nun an diesem langjährigen Dogma. „Neuere Untersuchungen finden bakterielle DNA im Fruchtwasser sowie im ersten Stuhl von Neugeborenen“, erklärt Lisa Stinson von der University of Western Australia in Perth, Australien.

Die Mikrobiologin und ihr Team haben das in einer eigenen Studie herausgefunden (Stinson 2019): Bei allen 50 untersuchten Neugeborenen haben sie bakterielles Erbgut im ersten Stuhlgang (Mekonium) und bei vier von fünf Neugeborenen zusätzlich im Fruchtwasser nachgewiesen. KritikerInnen halten dagegen, dass es sich auch um eine spätere Kontamination handeln könnte, also die Bakterien erst bei der Entnahme, dem Transport oder im Labor auf die Proben gelangt sind. Wer Recht behält, müssen weitere Studien klären.

 

Auf der Spur des perfekten Mikrobioms

Nicht jeder Mensch lebt mit den gleichen Mikroorganismen zusammen. Anzahl und Artenvielfalt sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich und verändern sich im Laufe des Lebens. Warum das so ist und wie die optimale Zusammensetzung aussieht, versuchen Forschende weltweit zu entschlüsseln. Bisher ohne Erfolg. Das System selbst und dessen Zusammenspiel mit dem menschlichen Körper sind komplex.

„Jeder Mensch hat sein eigenes, sehr individuelles, angeborenes und in den ersten Lebensmonaten geprägtes ‚Bakterienmuster‘. Forscher halten es wie den menschlichen Fingerabdruck für schwer veränderbar“, erklärt Angela Sommer von der Wissensredaktion Quarks des Westdeutschen Rundfunks in Köln (Sommer 2019).

Wenn das Gleichgewicht kippt

„Das Mikrobiom kann uns auch schaden, nämlich dann, wenn die Zusammensetzung gestört ist“, erklärt  Samuel Huber vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf in der Deutschen Apotheker Zeitung (Gerlach 2019). Beeinflusst werde das Mikrobiom, so der Magen-Darm-Spezialist weiter, von unserem Lebensstil und unserer Ernährung sowie der Umwelt und der Einnahme von Medikamenten.

Diese Unterschiede machen es schwierig herauszufinden, welches Mikrobiom wirklich krank macht und wie man gegensteuern kann.

So überzeugten beispielsweise Probiotika zur Vorbeugung von Allergien bisher nicht (Wang 2019). Ein Grund dafür könnte sein, dass die Produkte noch nicht die richtigen Mikroorganismen enthalten und/oder deren Dosierung unzureichend war.

Stuhltests teuer und wenig aussagekräftig

Für eine ausführliche Analyse des Mikrobioms im Stuhl können durchaus 500 Euro fällig werden. Einfache Stuhltest sind ab 100 Euro zu haben. Doch egal, wofür man sich entscheidet, das Ergebnis hilft kaum weiter. „Die Mikrobiom-Forschung steht noch relativ am Anfang. Aus bakteriellen Verschiebungen, die sich in solchen Stuhltests möglicherweise zeigen, lässt sich kein krankhafter Zustand oder ein Zusammenhang mit einer chronischen Erkrankung herleiten“, sagt Stefan Schreiber, Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie an der Universität Kiel und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Probiotische Medizin (Gießelmann 2019).

Auch die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) hält die Mikrobiomanalysen für „teuer und sinnlos“ (Pfeiffer 2018).

Wer Klarheit will, muss Geduld haben und warten, bis mehr über die Mikrobiom-Zusammensetzung und dessen Wirkung bekannt ist. Erst damit lassen sich Verfahren entwickeln und deren Ergebnisse richtig interpretieren.

 

Zuletzt aktualisiert: 01.07.2020

 

Quellen

Gerlach A. Das Mikrobiom und die Darmflora. DAZ.online, 20.02.2020.

 

Gießelmann K. Probiotika: Nicht immer von Vorteil. Dtsch Arztbl 2019;116(33-34):A-1484.

 

Luckey TD. Introduction to Intestinal Microecology. Am J Clin Nutr. 1972;25(12):1292-4.

 

Pfeiffer J. Teuer und sinnlos:DGVS rät von Stuhltests zur Analyse des Darm-Mikrobioms ab. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS); Pressemitteilung vom 05.09.2020.

 

Sender R et al. Revised Estimates for the Number of Human and Bacteria Cells in the Body. PLoS Biol. 2016;14(8):e1002533.

 

Sommer A. Warum Probiotika ihr Geld (noch) nicht wert sind. Quarks.de; Westdeutschen Rundfunk Köln, 20.09.2109.

 

Stines LF et al. The Not-so-Sterile Womb: Evidence That the Human Fetus Is Exposed to Bacteria Prior to Birth. Front Microbiol. 2019;10:1124.

 

Wang HAT et al. The Role of Probiotics in Preventing Allergic Disease. Children (Basel). 2019;6(2):24.