Insektengiftallergie

Biene, Wespe und Co. werden in den Frühjahrs- und Sommermonaten nicht nur von Allergikern mit gebührendem Abstand beobachtet. Ein Stich der so genannten Hautflügler (Fachbegriff: Hymenoptera) löst auch bei Menschen ohne Allergien an der Stichstelle eine schmerzhafte Schwellung und Juckreiz aus. Bei Menschen mit Allergien aktivieren die im Gift enthaltenen Eiweiße zusätzlich das Immunsystem.

Es sind vor allem die Stiche der staatenbildenden Hautflügler, die allergische Reaktionen auslösen. Dazu zählen Bienen, Hummeln, Wespen, Hornissen und Ameisen. In Europa sind die so genannten Kurzkopfwespen für einen großen Teil der allergischen Reaktionen verantwortlich. Anders als die Langkopfwespe ist die Kurzkopfwespe ein Fleischfresser. Das führt zu häufigen Interaktionen mit dem Menschen, zum Beispiel beim Essen in Freien. In den U.S.A., Süd- und Mittelamerika werden viele Reaktionen durch Feuerameisen verursacht. Unsere einheimischen Wald- und Wegameisen haben nur ein einen sehr kleinen Stechapparat, weshalb ihre Stiche selten zu allergischen Reaktionen führen.

Verbreitung

Insektenstiche können lokale allergische Reaktionen um die Einstichstelle auslösen. Möglich sind aber auch Reaktionen mit Symptomen, die mit der Einstichstelle keinen Zusammenhang haben. Atem- oder Kreislaufprobleme sind ein Beispiel dafür. Mediziner sprechen dann von einer Allgemein- oder Systemreaktion (siehe auch „Beschwerden“). Für Europa gehen Forscher davon aus, dass 0.3 – 7.5% der Bevölkerung allergische Systemreaktionen auf Insektenstiche erleiden – in Abhängigkeit von Region und Berufstätigkeit. Da das Risiko mit der Häufigkeit von Stichen steigt, sind Imker zum Beispiel häufiger betroffen. Den Daten des Anaphylaxieregisters zufolge zählen Insektenstiche zu den Hauptauslösern für den anaphylaktischen Schock bei Erwachsenen. Für Deutschland gehen Experten von einer Verbreitung zwischen 0.8 – 5% bei den systemischen Reaktionen aus. Bei den lokalen Reaktionen liegen bislang nur ungenaue Zahlen vor. Die Forschung nimmt jedoch an, dass mehr Menschen lokale Reaktionen erleben als Allgemeinreaktionen.

Insektengiftallergie im Kindes- & Erwachsenenalter

Über die genaue Verbreitung im Kindesalter liegen keine Zahlen vor. Bekannt ist jedoch, dass Kinder unter 12 Jahren ein niedrigeres Risiko für wiederholte Allgemeinreaktionen haben als Erwachsene. Erwachsene (ab dem 40. Lebensjahr) mit körperlichen Vorbelastungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Asthma haben ein erhöhtes Risiko, schwere allergische Reaktionen auf Insektenstiche zu erleiden. Patienten, die bereits eine schwere Reaktion auf Insektenstiche erlebt haben, sollten mit ihrem Arzt über die Möglichkeiten einer Immuntherapie sprechen (s. auch „Therapie“).

Auslöser

Allergische Reaktionen auf Insektengifte werden durch Eiweiße ausgelöst, die sich im Gift befinden. Bis heute wurden zwölf Bienengiftallergene, sechs Wespengiftallergene, und je zwei Hummel- und Hornissengiftallergene identifiziert. Während Bienenstiche vor allem im Frühjahr und Sommer vorkommen, sind Wespen im Sommer und Herbst aktiv. Beide Arten haben häufig Kontakt zum Menschen – zum Beispiel beim Essen im Freien oder auf Blumenwiesen. Hornissen- und Hummelstiche ereignen sich seltener.

Risikofaktoren für schwere allergische Insektengiftreaktionen:

  • zunehmendes Alter (ab dem 40. Lebensjahr)
  • Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems
  • allergisches Asthma
  • Mastozytose (eine Erkrankung, bei der der Körper zu viele Mastzellen produziert)
  • eine schwere allergische Reaktion auf einen Insektenstich in der Vergangenheit

Beschwerden

Insektenstiche können folgende Reaktionen auslösen:

  • Normale lokale Reaktionen ohne allergische Immunantwort mit einer Schwellung von weniger als 10 cm Durchmesser. Diese Schwellung klingt in der Regel innerhalb weniger Stunden wieder ab, wobei der Juckreiz an der Einstichstelle auch mehrere Tage anhalten kann.
  • Schwere lokale, allergische Reaktionen mit einer Schwellung von über 10 cm Durchmesser. Sie hält länger als 24 Stunden, manchmal bis zu einer Woche.
  • Schwere, allergische Systemreaktionen mit Übelkeit, Erbrechen, Durchfall – in sehr seltenen Fällen bis hin zum Kreislaufstillstand.

Übrigens können auch bei Menschen ohne Allergien in seltenen Fällen schwere Reaktionen auftreten. Voraussetzung dafür ist, dass ein Mensch von mindestens 50 – 100 Insekten gleichzeitig gestochen wird (bei Kindern etwa 10 – 50 Stiche). Ab dieser Stichmenge gelangt eine bedrohliche Menge Gift in den Körper, wobei Nieren- und Leberschäden entstehen können. Auch sind Stiche im Gesichtsbereich, zum Beispiel in die Lippen, gefährlicher als Stiche an Beinen oder Armen.

Diagnoseverfahren

Die Basis für die Diagnose ist das Gespräch mit dem Arzt. Dabei wird der Arzt die genauen Umstände des Stiches, die erbliche Vorbelastung für Allergien und die genaue Reaktion erfassen. Für das weitere Therapievorgehen ist es wichtig  herauszufinden, welches Insekt die allergische Reaktion ausgelöst hat und wie hoch das Risiko für (weitere) schwere Reaktionen ist. Hierzu wird der Arzt einen Haut– und / oder Bluttest durchführen, um zu prüfen, ob der Betroffene sensibilisiert ist. Eine Sensiblisierung zeigt an, ob ein Mensch nach einem früheren Stich bereits spezifische Antikörper entwickelt hat, also ob er eine Allergiebereitschaft aufgebaut hat. Die Ergebnisse dieser Tests können keine Allergie beweisen, sie liefern jedoch wichtige Hinweise auf das allergische Geschehen im Körper.

Bei Patienten mit hohem Anaphylaxierisiko werden Hauttests in der Regel stationär durchgeführt, um das Risiko einer schweren Reaktion auf den Test zu minimieren. Eine Stichprovokation – also das gezielte Herbeiführen eines Insektenstichs – wird nur bei Personen vorgenommen, die bereits erfolgreich (mindestens 3 – 5 Jahre) eine Immuntherapie durchlaufen haben. Sie unterliegt strengen Sicherheitsmaßnahmen und darf nur unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden.

Therapie

Bei Patienten, die eine schwere Insektengiftallergie haben, können mit der spezifischen Immuntherapie (SIT) behandelt werden. Die Immuntherapie bekämpft nicht nur die Symptome, sondern die direkte Ursache einer Allergie (mehr Informationen zur Allergie-Therapie hier). Wird das Immunsystem über einen Zeitraum von mindestens 3 – 5 Jahren mit dem Insektengiftallergen stimuliert, zeigen 95% der Wespengiftallergiker bei einem erneuten Stich keine oder nur noch sehr schwache Reaktionen. Bei den Bienengiftallergikern sind etwa 80% der Behandelten voll geschützt, die übrigen 20% erfahren in der Regel mildere Reaktionen als zuvor. Dieser Schutz hält nicht bei allen Patienten ein Leben lang. Deshalb kann für Menschen mit sehr schwerem Risiko eine lebenslange Immuntherapie in Erwägung gezogen werden.

Menschen mit einem hohen Anaphylaxierisiko müssen ein Notfallset bestehend aus Adrenalinautoinjektor, Kortikosteroid (flüssig oder in Tablettenform) und einem Antihistaminikum (flüssig oder in Tablettenform) bei sich tragen.

Prof. Dr. med. Dr. h.c. T. Zuberbier
Letzte Änderung: Juli 2016