18. November 2019
Darmbakterien und Kuhmilchallergie

Eines von 200 Kindern unter zwei Jahren in Europa hat eine Kuhmilchallergie. Die Mikroorganismen des Darms könnten dabei eine Rolle spielen. Was die Forschung dazu schon weiß und was sie noch herausfinden sollte, fasste eine Studie Mitte 2019 zusammen.

Was haben die ForscherInnen gemacht?

Sie haben Studien aus den letzten Jahren zum Thema Kuhmilchallergie und Rolle der Darmbakterien (Mikrobiom) gesichtet und die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst. Sie haben vor allem nach Prä-, Pro- und Synbiotika gesucht.

Verantwortlich war ein internationales Forschungsteam um den Londoner Kinderallergologen Adam Fox.

 

Was sind Prä-, Pro- und Synbiotika?

  • Präbiotika sind unverdauliche Lebensmittelbestandteile, die das Wachstum der Bakterien im Dickdarm fördern – dazu gehören bestimmte Mehrfachzucker wie Inulin, aber auch Zuckerabkömmlinge wie die aus Milchzucker (Laktose) gewonnene Laktulose.
  • In Probiotika sind lebende Mikroorganismen, die von Natur aus im gesunden Darm vorkommen. Dazu zählen zum Beispiel Milchsäurebakterien und Hefen.
  • Synbiotika sind eine Kombination aus beiden.

 

Wie verbreitet ist die Kuhmilchallergie?

Bei bis zu fünf Prozent aller Kleinkinder soll in einigen Ländern eine Kuhmilchallergie auftreten. Eine große Studie mit über 12.000 Kleinkindern aus neun europäischen Ländern (Schoemaker 2015) liefert allerdings Daten dafür, dass Kuhmilchallergien in Europa seltener sind. Von allen Kindern bis zu ihren zweiten Geburtstag sind rund 0,5% betroffen. In Großbritannien und Nordirland sind es rund 1,3%, in Deutschland sogar weniger als 0,3% und damit weniger als drei von 1.000 Kindern. 

 

Was kam heraus?

  • Es gibt bisher nur wenig Studien dazu, wie das Mikrobiom bei gesunden Kindern im Vergleich zu Kindern mit Allergien aussieht.
    Bei Kindern mit Allergien scheinen im Darm aber weniger Bifidobakterien und Milchsäurebakterien aufzutreten. Die Studie dazu ist allerdings fast 20 Jahre alt (Kirjavainen 2002).
  • Die EAACI (European Academy of Allergy and Clinical Immunology) schlägt vor, Präbiotika zur Allergievorbeugung Säuglingen zu geben, die nicht ausschließlich Muttermilch bekommen.
  • Bisherige Studien liefern keine Beweise dafür, dass Probiotika Allergien bei Kindern verringern. Trotzdem geht das WAO (World Allergy Organization) Leitlinien-Gremium davon aus, dass Probiotika Kindern nutzen, weil sie Hautausschlag (Ekzemen) vorbeugen.
  • Die WAO empfiehlt daher Probiotika, um Nahrungsmittelallergien bei Kindern mit einem hohen Allergie-Risiko vorzubeugen. Auch für Schwangere und stillende Mütter werden sie empfohlen, sofern ihr Kind ein hohes Allergierisiko hat. Das Gremium schränkt jedoch ein, dass die Qualität der Studien zu diesem Thema schlecht sei. Außerdem bleibe unklar, welche Probiotika wann eingesetzt werden sollten. Insgesamt liefern die Studien zu Probiotika sehr unterschiedliche Ergebnisse – das könnte daran liegen, dass sie mit unterschiedlichen Bakterienstämmen gearbeitet haben.
  • Zu Synbiotika erwähnen die Autoren eine Studie, die Säuglinge mit atopischer Dermatitis untersucht hat (Van der Aa 2010): Die Kinder bekamen extensiv hydrolysierte Ersatznahrung (EHF), also Nahrung, bei der die Eiweiße der Kuhmilch stark aufgespalten (hydrolysiert) und damit nicht mehr als Fremdkörper erkannt werden. Eine Gruppe bekam die EHF mit Synbiotika, die andere Gruppe ohne. Bei Kindern mit IgE-vermittelter atopischer Dermatitis waren die Dermatitis-Symptome deutlich schwächer, wenn sie zusätzlich Synbiotika bekamen.

 

Warum ist die Studie wichtig?

Die Übersichtsarbeit zeigt, wie wenig die Auswirkungen des Mikrobioms auf Allergien untersucht sind.

 

Man weiß nicht genau, wie das Mikrobiom bei Menschen mit Kuhmilchallergie im Vergleich zu Gesunden aussieht. Was ist normal und was krankmachend?

 

Es fehlen Methoden, das Mikrobiom richtig zu erfassen. Man weiß auch noch nicht genau, welches Bakterium wann in der kindlichen Entwicklung im Darm sein soll und wie sich das Mikrobiom im Verlauf ändert. Außerdem fehlen Methoden für die schnelle Diagnose am Krankenbett.

 

Welches Prä-, Pro- oder Symbiotikum sollte man wann in welcher Mengen geben? Und wenn sich das Mikrobiom ändert, welche Auswirkung hat das genau auf die Vorbeugung oder Therapie der Kuhmilchallergie. Die Fragen sind offen. Daher sind sich die Leitlinien-Gremien einig, dass weiter geforscht werden muss.

 

Eine Forderung der AutorInnen lässt sich aber sofort umsetzen:  ÄrztInnen in der Erstversorgung, also HausärztInnen und ÄrztInnen in Notfallambulanzen sollten über Kuhmilchallergien besser Bescheid wissen. Vor allem die nicht IgE-vermittelte Allergie werde häufig übersehen.

 

Originalstudie

Fox A et al. The potential for pre-, pro- and synbiotics in the management of infants at risk of cow’s milk allergy or with cow’s milk allergy: An exploration of the rationale, available evidence and remaining questions. World Allergy Organ J. 2019;12(5):100034.

 

Weitere Quellen

Fiocchi A et al. Incremental prognostic factors associated with cow’s milk allergy outcomes in infant and child referrals: the Milan Cow’s Milk Allergy Cohort study. Ann Allergy Asthma Immunol 2008;101:166-73.

 

Fiocchi A et al. World Allergy Organization-McMaster University Guidelines for Allergic Disease Prevention (GLAD-P): Probiotics. World Allergy Organ J. 2015 Jan 27;8(1):4.

 

Kirjavainen PV, et al. Aberrant composition of gut microbiota of allergic infants: a target of bifidobacterial therapy at weaning? Gut. 2002 Jul;51(1):51-5.

 

Koike Y et al. Predictors of Persistent Milk Allergy in Children: A Retrospective Cohort Study. Int Arch Allergy Immunol. 2018;175(3):177-80.

 

Schoemaker AA et al. Incidence and natural history of challenge-proven cow’s milk allergy in European children – EuroPrevall birth cohort. Allergy 2015;70(8):963-72.

 

Van der Aa LB et al. Effect of a new synbiotic mixture on atopic dermatitis in infants: a randomized-controlled trial. Clin Exp Allergy. 2010;40:795– 804.