24. April 2019
Diagnose Penicillin-Allergie? Oft falsch.

Deutlich weniger Menschen haben eine Penicillin-Allergie, als bisher angenommen. Das sagt die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI). Jeder zehnte Erwachsene in Deutschland meint, auf das Antibiotikum allergisch zu reagieren. Doch einer Überprüfung hält die Diagnose in vielen Fällen nicht stand.

Nur selten geht der Diagnose Penicillin-Allergie eine sorgfältige Diagnostik voraus. Meist wird die Diagnose gestellt, wenn nach einer Penicillin-Behandlung Beschwerden auftreten – so wie Hautrötungen und -schwellungen oder Juckreiz, Übelkeit und Kreislaufprobleme. Doch all diese Beschwerden müssen nicht zwangsläufig mit dem Antibiotikum zusammenhängen. Sie können auch durch die Krankheitserreger selbst verursacht sein oder als Folge der Erkrankung auftreten.

Allein der Verdacht auf eine Penicillin-Allergie hat erhebliche Folgen: Tritt erneut ein Infekt auf, sind Penicillin-Antibiotika tabu. „Dass das Ausweichen auf andere Antibiotika auch handfeste Nachteile hat, ist leider nicht hinreichend im Bewusstsein von Ärzten und Patienten verankert“, sagt DGI-Präsident Gerd Fätkenheuer. Andere Substanzklassen seien teilweise weniger effektiv oder mit mehr Nebenwirkungen behaftet. Sie erhöhen außerdem die Wahrscheinlichkeit, dass Bakterien gegen Antibiotika Resistenzen entwickeln – das heißt das Anitbiotikum wird dann wirkungslos.

Fazit: Man muss mit Labortests absichern, dass es sich auch wirklich um eine Penicillin-Allergie handelt.

Jedes zweite Antibiotika Rezept schadet mehr als es nützt

85% aller Antibiotika werden im ambulanten Bereich verschrieben, also nicht für KrankenhauspatientInnen, sondern bei der/dem niedergelassenen Ärztin/Arzt. Häufigster Grund für eine Antibiotika-Therapie sind akute Entzündungen in den oberen Atemwegen. Dabei werden die meisten dieser Infektionen von Viren verursacht, gegen die Antibiotika überhaupt nicht wirken. Antibiotika helfen nur bei bakteriellen Entzündungen.

Laut einem Bericht (GERMAP 2015) des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit bekamen 2010 sogar 70 Prozent aller Kinder im Alter unter fünf Jahren ein Antibiotikum.

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hält jede zweite Antibiotika-Verordnung für nicht gerechtfertigt (Feldmeier G et al. 2018). Als Gründe nennt die AkdÄ beispielsweise den fehlenden Nutzen bei Virusinfektionen, die Verschreibung einer falschen Substanz sowie nicht ausreichende Dosierung oder zu kurze Therapiedauer.

Die Arzneimittelkommission rät bei Atemwegsinfekten nicht gleich den Rezeptblock zu zücken. Mit unterstützenden Maßnahmen wie Ruhe, viel trinken und gegebenenfalls Medikamente gegen Gliederschmerzen bessern sich die meisten Erkrankungen in wenigen Tagen von selbst.

Mit Allergie-Diagnostik auf der sicheren Seite

Mit einer allergischen Stufen-Diagnostik lässt sich eine Penicillin-Allergie sicher nachweisen. Zuerst muss die Substanz ermittelt werden, welche die angebliche allergische Reaktion hervorgerufen hat. Das ist häufig nicht einfach, da das Antibiotikum oft bereits in der Kindheit gegeben wurde und die Betroffenen sich nicht mehr genau daran erinnern (Trubiano JA et al. 2017). Ist das Ergebnis des Hauttests nicht eindeutig, bringen die Bestimmung des spezifischen Immunglobulins E im Blut sowie gegebenenfalls ein Provokationstest Klarheit.

Eine aktuelle Übersichtsarbeit (Shenoy SE et al. 2019) kommt zu dem Ergebnis, dass 95% aller Menschen mit angeblicher Penicillin-Allergie ohne Risiko erneut mit einem Penicillin behandelt werden können. Die Studie liefert dafür folgende Erklärungen: Zum einen stammen die meisten Allergie-Diagnosen aus der Kindheit und stützen sich lediglich auf Beobachtungen der Eltern, eine Allergie-Diagnostik wurde nie durchgeführt. Zum anderen lassen sich 80% der Penicillin-Allergien nach zehn Jahren nicht mehr nachweisen.

„Ich wünsche mir, dass alle Menschen, die glauben eine Penicillin-Allergie zu haben, sowie Eltern von Kindern mit angeblicher Penicillin-Allergie, diese Diagnose hinterfragen und gegebenenfalls weiter abklären lassen“, sagt die Mitautorin der Übersichtsarbeit Kimberly Blumenthal vom Massachusetts General Hospital in Boston, US-Bundesstaat Massachusetts.

Min Lee, Kinderärztin an der Universität Texas Southwestern im US-amerikanischen Dallas, gibt im Med-Blog der Universität eine Empfehlung für den richtigen Zeitpunkt: Wenn Kinder in die medizinische Betreuung für Erwachsene wechseln, sei das „ein guter Zeitpunkt den Vermerk aus der Kranken-Akte zu streichen.“

Quellen

Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI): Penicillinallergie ist in den meisten Fällen gar keine: Ausweichen auf andere Antibiotika hat Nachteile und ist oft unnötig. Pressemitteilung, Februar 2019.

GERMAP 2015. Antibiotika-Resistenz und -Verbrauch. Bericht über den Antibiotikaverbrauch und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Human- und Veterinärmedizin in Deutschland. Hrsg. Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Verlag Antiinfectives Intelligence, Rheinbach, 2016.

Feldmeier G, Altiner A, Böhmer F. Angemessenheit von Antibiotikaverordnungen in der Primärversorgung am Beispiel akuter Atemwegsinfekte. Arzneiverordnung in der Praxis, Band 45, Heft 3, Juli 2018. 

Trubiano JA et al. Penicillin Allergy Is Not Necessarily Forever. JAMA. 2017;318(1):82-83.

Shenoy ES et al. Evaluation and Management of Penicillin Allergy. JAMA. 2019;321(2): 188-99.

Min Lee. So, you think you’re allergic to penicillin? UT Southwestern Medical Center, Blog-Eintrag 23.03.2017.