4. März 2020
Die Kälte-Allergie ist gar keine

Manche Menschen reagieren auf tiefe Temperaturen mit einem Hautausschlag. Dahinter steckt aber keine klassische Allergie. Denn Kälte enthält keine Allergene, gegen die der Körper Antikörper bilden könnte.

„Gegen Kälte als physikalischen Reiz kann man keine Antikörper bilden und somit auch keine Allergie entwickeln“ sagt der Allergologe Markus Magerl vom Allergie-Centrum der Berliner Charité (ECARF 2017).

 

Trotzdem entwickeln manche Menschen einen Hautausschlag, wenn sie mit niedrigen Temperaturen in Berührung kommen. Die Hautstellen sehen dann so aus und fühlen sich auch so an, als wären sie mit Brennnesseln in Berührung gekommen. Daher wird der Ausschlag als Nesselsucht (Urtikaria) bezeichnet.

 

Es gibt verschiedene Ursachen, die eine Urtikaria hervorrufen können. Lediglich drei Prozent sind auf eine Allergie zurückzuführen.
Die Ursachen sind also meist andere: Bei einem von fünf Menschen mit Urtikaria wird sie durch physikalische Reize wie Licht, Reibung, Vibration oder Druck und eben Kälte hervorgerufen (Wütherich 2006). Frauen reagieren doppelt so häufig auf Kälte wie Männer. Beschwerden treten meist erst im jungen Erwachsenenalter auf.

 

Franziska Rueff, Oberärztin an der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, schätzt, dass in Deutschland rund 50.000 Menschen eine Kälte-Urtikaria haben (BR Fernsehen 2020).

 

Individueller Kälte-Trigger

Ab welcher Temperatur Beschwerden auftreten, ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Es gibt nicht DEN Schwellenwert. „Bei manchen Betroffenen ist ein Abkühlen der Haut auf vier Grad Celsius notwendig, bei anderen reicht es schon aus, wenn die Haut auf 20 oder sogar auf 30 Grad Celsius heruntergekühlt wird“, sagt Marcus Maurer, Direktor für Forschung an der Klinik für Dermatologie der Berliner Charité.

 

Daher muss bei Verdacht auf Kälte-Urtikaria die Schwellentemperatur für jede/n einzelne/n PatientIn individuell bestimmt werden, beispielsweise durch Berühren der Haut mit Behältern, die mit Flüssigkeiten unterschiedlicher Temperaturen gefüllt sind, oder durch kalte Armbäder.

Noch einfacher geht es mit dem TempTest®, den die Berliner Charité entwickelt hat. Das Gerät erzeugt Temperaturen zwischen 4° bis 44° Celsius. So lassen sich Schwellentemperaturen von Kälte- und Wärme-Urtikaria schnell ermitteln (Magerl, 2015).

 

Wichtig zu wissen: Eine Kälte-Urtikaria verschwindet häufig nach 5–7 Jahren wieder von alleine. Daher ist es sinnvoll die Diagnose alle paar Jahre zu überprüfen, also die Tests regelmäßig zu wiederholen.

 

Das hilft bei Kälte-Urtikaria

Wird eine Kälte-Urtikaria diagnostiziert, steht auch fest, welche Temperatur Betroffene nicht unterschreiten sollten. Dann heißt es, entsprechende Auslöser zu meiden, zum Beispiel:

  • Keine kalten Speisen oder Getränke zu sich zu nehmen oder anzufassen
  • Sich warm anziehen, wenn es draußen kalt ist, dabei Gesicht und Hände nicht vergessen
  • Nicht in kaltes Wasser springen

 

Diese Maßnahmen reichen meist schon aus, um beschwerdefrei zu bleiben.

 

Falls man sich doch niedrigen Temperaturen aussetzen will, beispielsweise um ein kühlendes Bad an einem heißen Sommertag zu nehmen, lautet die Empfehlung der aktuellen europäischen Urtikaria-Leitlinie (Zuberbier 2018): zwei Stunden vor zum Beispiel dem Sprung ins kühle Wasser ein Antihistaminikum einnehmen.

Am besten geeignet ist ein so genanntes nicht-sedierendes H1-Antihistaminikun der 2. Generation, da diese Substanzen nicht schläfrig machen (nicht-sedierend wirken). Bei einer Urtikaria reicht die empfohlene Standarddosis meist nicht aus. Laut Leitlinie kann es sinnvoll sein, die Menge bis auf das Vierfache zu steigern. Doch sollte die Dosis nicht eigenmächtig erhöht werden – die richtige Auswahl und Dosis bespricht man am besten mit der Ärztin beziehungsweise dem Arzt.

 

Selten, aber manchmal gefährlich

„Die Kälteurtikaria ist eine seltene aber schwer beeinträchtigende Erkrankung“, erklärt Marcus Maurer (Schuster, 2019). Werden große Teile des Körpers Kälte ausgesetzt, beispielsweise durch einen Sprung in kaltes Wasser, kann das die Durchblutung der Organe drosseln. Bekommen lebenswichtige Organe wie Herz und Gehirn zu wenig Blut, löst das einen anaphylaktischen Schock aus.

 

Eine weitere mögliche ernste Komplikation, so Maurer, sei das Anschwellen von

Mundschleimhaut und Zunge. Dazu kann es kommen, wenn kalte Speisen oder Getränke konsumiert werden. Schlimmstenfalls führen die Schwellungen dazu, dass keine Luft mehr in die Lungen gelangt.

 

Wer bereits solche lebensgefährlichen Komplikationen erlebt hat, sollte für den nächsten Notfall gut gerüstet sein: Informieren Sie die Menschen in ihrer Umgebung und lassen Sie sich von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt ein Notfallset zusammenstellen, dass Sie immer mitnehmen können.

 

Text: ch/ktg

 

Quellen

BR Fernsehen. Kälteurtikaria: Eine Allergie, die keine ist. BR Fernsehen, 03.02.2020. (Zugriff am 20.2.2020)

 

ECARF. Kälteurtikaria. Interview mit Professor Markus Magerl, 18.12.2017.

 

Magerl M. An improved Peltier effect-based instrument for critical temperature threshold measurement in cold- and heat-induced urticaria. J Eur Acad Dermatol Venerol. 2015;29(10):2043-5.

 

Schuster N. Unangenehm bis lebensgefährlich. Pharmazeutische Zeitung, 06.03.2019.

 

Wütherich B et al. Physikalische Urtikaria: Klinik, Diagnostik und Therapie. Schweiz Med Forum. 2006;6:215-24.

 

Zuberbier T et al. he EAACI/GA²LEN/EDF/WAO guideline for the definition, classification, diagnosis and management of urticaria. Allergy. 2018;73(7):1393-1414.