Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat im Januar 2020 das erste Mittel für diese Behandlung zugelassen. Seit Mitte Dezember 2020 ist es auch in der EU zugelassen – für Kinder ab vier bis einschließlich 17 Jahren. Im Mai 2021 soll es laut Hersteller auf den Markt kommen.
„Alle drei Minuten kommt in den USA jemand wegen einer Nahrungsmittelallergie in die Notaufnahme“, so die Chicagoer Kinderärztin Christina Ciaccio. Sie hat an einer internationalen Studie zur Immuntherapie von Kindern mit Erdnussallergie mitgearbeitet, an der auch Forschende der Charité Universitätsmedizin Berlin beteiligt waren. Die meisten nahrungsmittelbedingten allergischen Notfälle und Todesfälle in den USA gehen auf das Konto von Erdnussallergien.
Im Januar 2020 hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA das erste Mittel für die Immuntherapie der Erdnussallergie zugelassen. Es ist in den USA unter dem Namen Palforzia in den Handel gekommen. „Ich kann gar nicht genug betonen, was für ein Game-Changer es für Allergologen und Patienten sein wird, ein von der FDA zugelassenes Produkt für die Erdnuss-Allergie-Behandlung zu haben“ sagt Ciaccio.
EU-Zulassung seit Dezember 2020
Das Mittel wurde deshalb in der EU später als in den USA zugelassen, weil es zunächst zu wenig Daten zu europäischen Patient:innen gab – die internationale PALISADE-Studie hatte nicht genügend Europäer:innen untersucht, so Kirsten Beyer beim Online-Allergietag des Deutschen Allergie- und Asthmabunds e.V. im Juni 2020. Beyer ist Leiterin des Kinderallergologischen Studienzentrums und Professorin an der Charité Universitätsmedizin Berlin.
Inzwischen sind aber die Daten der zweiten großen Studie veröffentlicht – die ARTEMIS Studie (AR101 Trial in Europe Measuring Oral Immunotherapy Success) wurde ausschließlich in Europa durchgeführt. An ihr nahmen 175 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen vier und 17 Jahren teil.
Die Behandlung wurde als erfolgreich gewertet, wenn die Studienteilnehmer:innen beim Abschluss-Provokationstest mindestens 1.000 mg Erdnussprotein vertrugen und höchstens leichte allergische Symptome zeigten: Das war bei 58,3 Prozent der Teilnehmer:innen der Fall, die Palforzia bekamen. Je länger die Teilnehmer:innen das Mittel einnahmen, desto mehr davon vertrugen 1.000 mg Erdnussprotein. Die Dauer-Therapie mit Palforzia scheint die Erdnussverträglichkeit also weiter zu verbessern.
Trotzdem: Auch wer das Mittel einnimmt, muss sicherheitshalber einen Adrenalin-Pen dabei haben.
Die Kosten werden zunächst die Patient:innen tragen müssen. „Eine EU-Zulassung bedeutet noch lange keine Kostenübernahme durch die Krankenkassen“, so Kirsten Beyer.
Über die PALISADE-Studie
Die Zulassung für die USA erfolgte vor allem auf Grundlage einer im renommierten New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie. Sie testete, ob eine regelmäßig eingenommene, sehr niedrige Menge eines Erdnusseiweißes bei allergischen Kindern und Jugendlichen mit Allergie die Symptome mindert. Die Studie heißt abgekürzt PALISADE. Das steht für „Peanut Allergy Oral Immunotherapy Study of AR101 for Desensitization“ (auf Deutsch: „Erdnussallergie: Orale Immuntherapie-Studie mit AR101 zur Desensibilisierung“). AR101 ist ein Medikament, das auf Erdnusseiweiß basiert. Es wird oral eingenommen, also geschluckt.
Wie ist das PALISADE-Team vorgegangen?
Von den 496 Studienteilnehmer:innen zwischen vier und 17 Jahren bekamen drei Viertel das Medikament, ein Viertel ein Scheinmedikament (Placebo). Bei den mit AR101 Behandelten wurde die Medikamentendosis alle zwei Wochen gesteigert. Am Schluss bekamen alle Teilnehmenden Erdnüsse zu essen und sie wurden überwacht, ob und in welchem Ausmaß Allergiesymptome auftraten.
Was kam bei PALISADE raus?
Am Ende der Studie vertrugen 67% der Kinder und Jugendlichen, die das Medikament bekamen, wieder eine geringe Menge Erdnuss. Diese Dosis, bei der keine nennenswerten Allergiesymptome auftragen, entsprach etwa zwei Erdnusskernen.
Nur vier Prozent der Teilnehmenden, die ein Placebo bekommen hatten, vertrugen zwei Erdnusskerne ohne nennenswerte Symptome.
Allerdings verursachte auch die Behandlung mit AR101 unerwünschte Wirkungen wie Magen-Darm-, Haut- und Atemproblemen. Jede/r Zehnte stieg deshalb vorzeitig aus der Studie aus.
Wofür sind die Erkenntnisse hilfreich?
Die Behandlung kann Erdnussallergien nicht „heilen“, aber sie könnte bedeuten, dass mit einem Erdnussprotein behandelte Erdnussallergiker:innen nicht gleich mit lebensgefährlichen Symptomen in die Notaufnahme müssen, wenn sie versehentlich kleinste Mengen Erdnuss essen.
Hergestellt wird das Präparat von der Nestlé-Tochter Aimmune. Laut Hersteller soll es im Mai 2021 auf den Markt kommen.
Referenzen – Studien
O’B Hourihane J et al. Efficacy and safety of oral immunotherapy with AR101 in European children with a peanut allergy (ARTEMIS): a multicentre, double-blind, randomised, placebo-controlled phase 3 trial. Lancet Child Adolesc Health. 2020 (10):728-39
PALISADE Group of Clinical Investigators. AR101 Oral Immunotherapy for Peanut Allergy. N Engl J Med. 2018 Nov 22;379(21):1991-2001
Referenzen – Vorträge und Pressemitteilungen
„Lebensmittel-Allergie – Neue Therapien eröffnen Chancen“ – Vortrag von Prof. Dr. Kirsten Beyer beim Online-Allergietag des DAAB e.V. am 21.6.2020
FDA approves peanut allergy treatment for children and teens https://www.uchicagomedicine.org/forefront/pediatrics-articles/peanut-allergy-immunotherapy
Celine Müller. EU lässt Palforzia gegen Erdnussallergie zu – Artikel DAZ Online vom 04.01.2021. Letzter Onlinezugriff am 18.01.2021
Sophie Shey. European Commission Approves Aimmune’s PALFORZIA® as First-Ever Treatment for Peanut Allergy in the EU. Pressemitteilung der Firma Aimmune vom 21.12.2020. Letzter Onlinezugriff am 20.01.2021
Zuletzt aktualisiert: 20.01.2021