23. Oktober 2019
Fast jeder kennt jemanden mit FPIES

Die spezielle Nahrungsmittelallergie FPIES ist eigentlich nichts Neues, aber in Deutschland bei Eltern und auch ÄrztInnen kaum bekannt. ECARF war beim Allergiekongress 2019 dabei und hat spannende Infos für Sie.

„Nach meinen Vorträgen sagen Leute oft ‚Ich kenne auch jemanden, der das hat’“, sagt Kinderärztin Alisa Arens auf dem 14. Deutschen Allergiekongress. Dazu nennt sie Zahlen, wie häufig die Erkrankung FPIES (gesprochen: EFF-PEIS) vorkommt: in den USA bei immerhin 0,5% aller Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren. FPIES ist also nicht selten. Wie Viele in Deutschland betroffen sind, weiß bisher niemand, denn hierzulande fehlt ein Register.

 

FPIES – Was ist das?

FPIES steht für Food Protein Induced Enterocolitis Syndrome, übersetzt in etwa: durch Nahrungsmitteleiweiß verursachtes Syndrom entzündeter Dünn- und Dickdarmschleimhäute. FPIES ist zwar eine Allergie, aber im Gegensatz zu den meisten anderen Allergien spielt das Immuneiweiß IgE keine Hauptrolle. Die sonst üblichen Laborwerte und Hauttests mit Nahrungsmitteln helfen bei FPIES also nicht weiter. Deshalb ist es wichtig, die Symptome zu kennen und überhaupt an die Krankheit zu denken.

 

Akutsymptom – heftiges Erbrechen

„Wenig Eltern und wenig Ärzte können mit dem Begriff etwas anfangen“, sagt Arens. Die Symptome kennen dagegen Viele: Bei der akuten Form leiden die Kinder unter heftigem Erbrechen – ein bis vier Stunden, nachdem sie das Lebensmittel gegessen haben, das die Reaktion auslöst.

„Die Kinder sind so schwer krank, dass man es nicht übersehen kann“, so Arens. Das heftige Erbrechen ist das Hauptsymptom. Wenn dazu noch mindestens drei Nebensymptome kommen (siehe Tabelle 1), sollte man an die Diagnose FPIES denken.

 

Nebenkriterien von FPIES

  • Blässe
  • Durchfall (Diarrhoe)
  • Unterkühlung (Hypothermie)
  • Niedriger Blutdruck (Hypotonie)
  • Erbrechen nach einem anderen Nahrungsmittel
  • Kind braucht Infusionstherapie
  • Kind braucht Behandlung durch Notfallambulanz
  • Lethargie
  • Mehr als eine Episode Erbrechen nach einem bestimmten Nahrungsmittel

 

Sonderfall – Chronisches FPIES

Schwerer ist die Diagnose bei chronischem FPIES, das vor allem Säuglinge betrifft. „Kinder mit chronischem FPIES sind nicht auf Anhieb zu erkennen – sie spucken und erbrechen jeden Tag ein bisschen“, erklärt Arens. Was am Anfang nicht so schlimm aussieht, kann aber bis zu einer Gedeihstörung führen und damit die Entwicklung des Kinds verzögern.

Weil die Säuglinge erst ein bis vier Stunden nach dem Trinken des auslösenden Nahrungsmittels reagieren, lässt sich zunächst keine klare Verbindung zu Mahlzeiten herstellen.

 

Behandlung – Kortison

Behandelt werden die Kinder akut zunächst mit Infusionen und dem entzündungshemmenden Kortisonmedikament Prednisolon. Außerdem kommt gegen Übelkeit und Brechreiz Odansetron zum Einsatz (das Medikament blockt Rezeptoren gegen das Gewebshormon Serotonin). Für Kinder ist es nicht offiziell zugelassen, wird aber dennoch in sogenanntem Off-Label-Use eingesetzt.
Im Gegensatz zu anderen Allergien helfen Adrenalin und Antihistaminika bei FPIES nicht.
Erst wenn es zu Schocksymptomen wie Blutdruckabfall kommt, ist Adrenalin wieder sinnvoll.

Der nächste Schritt ist dann, das Lebensmittel zu meiden, das zum Erbrechen führt. Arens  empfiehlt Ernährungsberatung für die betroffene Familie: „Wir nehmen uns dafür viel Zeit, auch aus Sorge, dass es zu einer Mangelernährung kommt, weil Eltern erst einmal Alles meiden“. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass bei nur einem Nahrungsmittel als Auslöser bleibt. Rund zwei Drittel aller Betroffenen reagieren nur auf ein Nahrungsmittel.

 

Auslöser – Milch ganz vorn

Der häufigste und früheste Auslöser von FPIES weltweit ist Kuhmilch – fast 50% aller chronischen FPIES-Erkrankungen weltweit sind darauf zurückzuführen.

Eine kleine Studie mit 21 Kindern hat sogar gezeigt, dass Muttermilch FPIES auslösen kann. Vier der 21 untersuchten Kinder entwickelten FPIES, nachdem sie Muttermilch getrunken hatten. „Dass Muttermilch der Auslöser sein kann, ist etwas Besonderes“, betont Antje Finger aus der Pädiatrie St. Marien in Bonn. Was tun, wenn der Säugling auf Muttermilch reagiert? Finger betont, dass nicht die Muttermilch an sich die Allergie auslöst, sondern Bestandteile in der Muttermilch, die die Mutter über ihre Nahrung aufgenommen hat. Sie empfiehlt, in der Nahrung der Mutter Milch wegzulassen. „Das klappt oft“, unterstreicht sie.

 

Auslöser – Deutschland und der Rest der Welt

Ansonsten gibt es nach Alter und nach Regionen große Unterschiede, die abhängig von den Ernährungsgewohnheiten sind. Für Deutschland gibt es bisher kaum Daten. Eine kleine Studie an drei Zentren (Bonn, Aachen und Hannover) mit 75 Säuglingen und Kindern mit FPIES hat gezeigt, dass 57% auf Kuhmilch reagieren, 17% auf Fisch und 13% auf Fleisch. Zwar ist Geflügel weltweit das häufigste Fleischallergen, in Deutschland allerdings überwiegt Rind.

In Europa insgesamt ist Fisch ein häufiger Auslöser, allerdings häufiger in den Mittelmeerländern. Das Beispiel Fisch zeigt, wie wichtig eine genaue Ernährungsbefragung ist. Es kann durchaus sein, dass ein Kind auf Seelachs mit FPIES reagiert, aber eine Lachsschnitte problemlos verträgt. Der Grund: Seelachs hat mit Lachs nichts zu tun, sondern gehört zu den dorschartigen Fischen. Die muss das Kind meiden, Lachs kann es problemlos essen.

Auch Gemüse kann ein Auslöser sein, allem voran Kartoffeln, Karotte, Kürbis und Süßkartoffel.
Obst ist in den USA häufig, Avocado und Banane sind als Auslöser auf den vorderen Rängen.

 

Wichtig: Breikosteinführung

Soja ist nur in den USA häufig, weil es dort als Säuglingsnahrung empfohlen wird. Reis ist oft in den Regionen ein FPIES-Auslöser, wo er als erste feste Breikost empfohlen wird, also beispielsweise in den USA und Australien.
Breikost sollte erst nach dem 4. Lebensmonat eingeführt werden, empfiehlt Finger. „Eine frühere Einführung erhöht das FPIES-Risiko“, betont sie mit Bezug auf die 2016 erschienene EAT-Studie (Perkin 2016). Allerdings sollte man die Einführung auch nicht verzögern. Neue Lebensmittel sollte man einzeln einführen.

 

Und Erwachsene?

Zu Erwachsenen gibt es wenig Fallberichte, aber auch bei ihnen kommt FPIES vor. Frauen scheinen häufiger betroffen zu sein als Männer. Häufige Auslöser sind Meeresfrüchte, Fisch und Ei. Die Symptome können genauso schwer sein wie bei Kindern und auch auftreten, nachdem es jahrelang keine Probleme mit dem auslösenden Nahrungsmittel gab. Ob sich die Symptome nach einiger Zeit von selbst wieder legen, weiß man bisher nicht.

 

 

Quellen

Dt. Allergiekongress 2019. Vorträge zu FPIES am 27.09.2019 von Alisa Arens, Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin an der Kinderklinik ‚Auf der Bult’ in Hannover und Antje Finger, Allergologie/Pneumologie, Pädiatrie St. Marien, GFO-Kliniken in Bonn.

Perkin MR et al. Randomized Trial of Introduction of Allergenic Foods in Breast-Fed Infants. N Engl J Med 2016; 374:1733-1743

 

Text: kf/ktg