2. Juni 2021
Feinstaub – gefährlicher als gedacht

Feinstaub kann der Lunge noch stärker schaden als bisher gedacht. Womöglich sind bisherige Feinstaubgrenzwerte nicht streng genug.

Der Autoverkehr ist mit verantwortlich für die Produktion von Feinstaub.

 

Feinstaub schadet der Lunge. Mit einem Durchmesser von bis zu zehn Mikrometern sind Feinstaubteilchen so winzig, dass sie mit dem Atem bis in die hintersten Ecken der Lunge gelangen (zum Vergleich: ein menschliches Haar ist stolze 90 Mikrometer dick). Die Teilchen können sogar in Zellen der Lunge eindringen. Und sie können mit zu Atemwegserkrankungen führen – auch zu Asthma.

 

Was man bisher wusste

Feinstaub enthält viele chemische Bestandteile, wie Metalle und bestimmte Kohlenstoff-Verbindungen. Durch eine Reaktion mit anderen Molekülen wird Sauerstoff ausgetauscht. Schließlich entstehen daraus sehr reaktionsfreudige Verbindungen: Diese reaktiven Sauerstoffverbindungen (ROS) nennt man auch „Sauerstoffradikale“. Dazu gehören Wasserstoffperoxid oder Hydroperoxil. Größere Mengen schädigen Zellen. Beispielsweise greifen sie ungesättigte Fettsäuren im Körper an – eine Zelle kann die ungesättigte Fettsäure dann nicht mehr als Baustoff benutzen. Vermutlich verändern ROS sogar das Erbgut.

 

Bisher weiß man:

  1. dass bestimmte ROS schon im Feinstaub der Luft vorliegen (als „exogene ROS“) und über die Atemluft in den Körper gelangen, und
  2. dass darüber hinaus auch einige ROS im Körper entstehen, wenn der Feinstaub sich in der Oberflächenflüssigkeit der Atemwege auflöst.

 

Worum ging es in der Studie?

Die Forschenden haben vor allem Feinstaubpartikel mit Kohlenstoff-Bestandteilen und Eisen untersucht. In der Luft produzieren sie über mehrere Schritte ROS.

 

Normalerweise würde ein großer Teil der ROS durch die Sonne schon in der Luft unschädlich gemacht – die ROS zerstreuen sich dann in die Umwelt, noch bevor man sie einatmet.

Aber unter bestimmten Bedingungen bleiben die ROS doch im Inneren von Feinstaubpartikeln gefangen: Nämlich dann, wenn Feinstaubpartikel zähflüssig sind – so wie Sirup oder Kaugummi. Bei welcher Temperatur und Feuchtigkeit das besonders der Fall ist, hat die Studie herausgefunden.

 

Was ist neu?

Die höchsten Konzentrationen der ROS in Feinstaub bilden sich bei ganz alltäglichen Wetterbedingungen: bei mittlerer Luftfeuchte von 50 Prozent und Temperaturen um die 20 Grad. Zustände wie in ganz normalen Räumen also.
Verantwortlich dafür ist das Zusammenspiel von Eisen und organischen Verbindungen – eine Kombination, die immerhin etwa jedes zwanzigste Feinstaubpartikel enthält.

 

Auch ein zweites Ergebnis ist besorgniserregend: Feinstaub enthält viele weitere ROS-Quellen. Auch diese schon bekannten ROS-Quellen werden unter ganz alltäglichen Bedingungen verstärkt. „Wir vermuten sogar, dass nahezu alle Schwebeteilchen in der Luft auf diese Weise zusätzliche Radikale ausbilden“, sagt Peter Aaron Alpert. Er ist verantwortlicher Autor der Studie und forscht am Paul Scherrer Institut PSI in Villigen in der Schweiz.

 

Warum ist das wichtig?

Wenn weitere Studien ähnliche Ergebnisse liefern, müssen sich Feinstaub-Grenzwerte ändern. Und zwar deutlich nach unten.
„Wir müssen dann dringend unsere Modelle und Grenzwerte bezüglich der Luftqualität anpassen. Womöglich haben wir hier einen zusätzlichen Faktor dafür gefunden, dass so viele Menschen scheinbar ohne konkreten Anlass an Atemwegserkrankungen oder Krebs erkranken“, sagt Alpert.

 

Wie haben die Forscher das herausgefunden?

Den Forschenden ist es gelungen, quasi ins Innere von Feinstaub zu blicken. Mit einem besonderen Mikroskop und einer speziell designten Zelle:

  • Das hochauflösende Röntgenmikroskop kann Feinstaubpartikel einzeln mit einer Auflösung von unter einem Mikrometer betrachten und in Echtzeit mitverfolgen, wie Reaktionen darin ablaufen.
  • Mit der neu entwickelten Zelle lässt sich nachstellen, wie ganz verschiedene Umweltbedingungen auf sie wirken. Temperatur, Feuchtigkeit und Luftzusammensetzung sind genau einstellbar. Eine UV-LED-Lichtquelle ahmt die Sonneneinstrahlung nach.

„Diese Kombination – hochauflösendes Röntgenmikroskop und Zelle – gibt es nur einmal auf der Welt“, sagt Alpert.

 

Originalstudie

Alpert PA et al. Photolytic Radical Persistence due to Anoxia in Viscous Aerosol Particles. Nature Communications. 2021;12:1769

 

Weitere Quellen

Berndorff J. Feinstaub ist gefährlicher als gedacht. Pressemitteilung des Paul Scherrer Instituts PSI vom 19.03.2021. Letzter Download am 27.05.2021.

Jacquemin B et al. Ambient air pollution and adult asthma incidence in six European cohorts (ESCAPE).

Environ Health Perspect 2015;123(6):613-21