5. Oktober 2020
Wenn der Körper Apfel und Birke verwechselt – die Kreuzallergie

Bei einer Apfelallergie bringt die Immunabwehr zwei winzige Substanzen durcheinander, die sich sehr ähneln. Eine ist in Birkenpollen, die andere in Äpfeln. Deshalb kommt nach einer Birkenpollenallergie oft eine Apfelallergie – eine „Kreuzreaktion“ ist entstanden.

Herbst ist Apfelzeit. Frisch, fruchtig, knackig und direkt vom Baum, so sind Äpfel purer Genuss. Für Menschen mit Apfelallergien sieht die Sache allerdings anders aus: Meistens geht es fünf bis 20 Minuten nach dem Biss in den Apfel los – mit Jucken und Brennen auf den Lippen und im Mund und Rachen, die Zunge ist geschwollen, die Nase läuft und juckt. Atembeschwerden können sogar soweit gehen, dass sie sich wie Ersticken anfühlen. Auch Übelkeit und Durchfall kommen vor. Nach ein bis zwei Stunden ist alles wieder vorbei.

 

Warum ausgerechnet Äpfel?

Warum reagiert der Körper gegen gesundes Obst, gegen Äpfel? Eigentlich ist das Ganze eine Verwechslung. Sie betrifft Menschen, die schon vorher an einer Allergie auf Baumpollen leiden. Das Immunsystem hält winzige Apfelbestandteile fälschlicherweise für eine allergieverursachende Substanz in Birkenpollen (bei Erlen- und Haselnuss-Pollen kann es auch zu dieser Verwechslung kommen). Es reagiert mit einer Allergie Typ 1.

 

Bei allergieverursachenden Substanzen – den „Allergenen“ – denken viele an Pollen, Katzenhaare oder Latex, also sichtbare Allergieauslöser. Im engeren wissenschaftlichen Sinn ist ein Allergen etwas Anderes, unsichtbar und viel kleiner:

zum Beispiel ein Eiweiß (Protein) in Pollen oder Nahrungsmitteln. Darum geht es auch bei der Kreuzallergie zwischen Birkenpollen und Apfel.

Bet v 1 und  Mal d 1

Birkenpollen enthalten das Protein Bet v 1. Es scheint eine Rolle bei der Abwehr von Schadstoffen zu spielen und das Pflanzenwachstum zu fördern (Marković-Housley 2003). Die Zusammensetzung von Bet v 1 ist immer gleich, aber es gibt verschiedene Arten des Zusammenbaus (Isoforme). Sie unterscheiden sich von Baum zu Baum, weswegen jede einzelne Birke unterschiedlich stark Allergien auslöst (Schenk 2009).

 

Auch Äpfel enthalten Pflanzen-Stress-Proteine (Pathogenesis-Related-Protein (PR) families), die sie gegen Schadstoffe schützen. Eines dieser Proteine nennt sich Mal d1 („Mal“ von „Pyrus Malus“, der lateinischen Bezeichnung für den Kulturapfel). Es ist der Hauptauslöser für Apfelallergien in Mittel- und Nordeuropa und Nordamerika.

Mal d 1 ist Bet v 1 sehr ähnlich. Vor allem der Teil von Mal d1 sieht gleich aus, an den die für die Allergie Typ 1 charakteristischen IgE-Antikörper binden. Das Immunsystem erkennt nur die Bindungsstelle, egal ob sie auf dem Pollen sitzt oder im Apfel. Immerhin bei gut 73 Prozent der Menschen mit Birkenpollenallergie tritt diese „Kreuzallergie“ mit Äpfeln auf (Geroldinger-Simic 2011).

Starke Unterschiede zwischen Apfelsorten

Wer trotz Apfelallergie den Geschmack nicht missen will, ist mit gekochten oder gebackenen Äpfeln gut beraten, denn sie verlieren ihre allergieauslösenden Eigenschaften. Mal d 1 ist nämlich empfindlich gegen Hitze.

Weil viel Mal d 1 in der Apfelschale sitzt, hilft auch Schälen.

Und: Grundsätzlich sind frische Äpfel verträglicher als gelagerte.

 

Neue Studien haben aber gezeigt, dass nicht jeder Apfel, der wenig Mal d 1 enthält, automatisch weniger Allergien verursacht (Romer 2020). Auch die Menge des sekundären Pflanzenstoffs Flavan-3-ol spielt ein Rolle, ebenso wie der chemische Aufbau verschiedener Formen von Mal d 1.

Was also tun?

Menschen mit Allergie sollten sich die passende Apfelsorte aussuchen. Nur welche ist passende und wo ist sie zu finden? Schließlich sind von den rund 2400 Apfelsorten, die es gibt, nur zwei Dutzend im üblichen Handel.

 

Wissenschaftler der Berliner Charité um den ECARF-Experten Karl-Christian Bergmann haben schon 2016 in einer Pilotstudie untersucht, welche Äpfel Allergiker vertragen. Sie hatten auch alte Apfelsorten im Visier.

Ihr Ergebnis: Menschen mit Apfelallergien vertragen alte Sorten besser. Außerdem sind die alten Apfelsorten gesünder, denn sie enthalten mehr Vitamin C und Pflanzenstoffe. Informationen dazu, welche Sorten wie verträglich sind, sind in der BUND Lemgo Apfelsortenliste zu finden.

Je saurer, desto besser

Ein Grund für die bessere Verträglichkeit ist Polyphenol – es schützt den Apfel nicht nur gegen UV-Strahlung, Pilzbefall und Insekten, es macht auch die allergenen Stoffe im Apfel unschädlich. Polyphenole sind Pflanzenstoffe, durch die der Apfel aromatisch bleibt, aber weniger süß wird. Für Menschen mit Apfelallergie gilt also: Je saurer, desto besser.

Die Äpfel mit viel Polyphenol verfärben sich beim Anschneiden schneller braun und sehen nicht ganz perfekt aus. Dadurch lassen sie sich schwerer verkaufen, weshalb neue Sorten eher weniger Polyphenol enthalten als ihre Vorgänger.

Wer die alten Sorten will, muss also ein wenig suchen, zum Beispiel auf Märkten, in Bioläden oder direkt beim Erzeuger. Die Suche jedenfalls lohnt.

 

 

Quellen

Ahammer Linda et al. Structure of the Major Apple Allergen Mal d 1

J Agric Food Chem. 2017; 65(8):1606–12.

 

Bergmann Karl-Christian, Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst
Die Apfelstudie 2016/2017- eine Beobachtung.

 

Geroldinger-Simic Marija et al. Birch pollen-related food allergy: clinical aspects and the role of allergen-specific IgE and IgG4 antibodies. J. Allergy Clin. Immunol. 2011;127, 616–23

 

Klimek, Ludger et al. Weißbuch Allergie in Deutschland. SpringerMedizin 2018, 4. Auflage

 

Marković-Housley Zora et al.: Crystal structure of a hypoallergenic isoform of the major birch pollen allergen Bet v 1 and its likely biological function as a plant steroid carrier. In: Journal of Molecular Biology. 2003:325(1),123–33

(bitte mit folgendem, in neuem Fenster öffnenden Link unterlegen: )

 

Romer Emilia et al. Tiered approach for the Identification of Mal d 1 reduced, well tolerated apple genotypes

Sci Rep. 2020;10: 9144

 

 

Schenk Martijn et al: Characterization of PR-10 genes from eight Betula species and detection of Bet v 1 isoforms in birch pollen.

BMC Plant Biol 2009;9:24.

 

 

Wintermantel Benita, Hoffnung für Apfel-Allergiker: Diese Apfelsorten sind besser verträglich. Öko-Test vom 01.03.2020