9. Januar 2019
Alter schützt vor Allergien nicht

„Allergien bekommen nur Kinder und junge Erwachsene“. So denken Viele, doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Fast jeder 10. der Generation 65+ wird im Alter erstmals in seinem Leben mit allergischen Beschwerden konfrontiert.

Bisher konzentrieren sich Allergie-Studien meist auf Kinder und junge Erwachsene. Die ältere Bevölkerung wird außen vor gelassen – zu Unrecht, wie dieses Beispiel zeigt:

„Nach zwei Jahren mit unklarer Nesselsucht ist es eine Erleichterung endlich zu wissen, woher die Hautveränderungen kommen“, sagt Brunhilde Gösser aus Hamburg. Die rüstige 82-jährige Rentnerin plagte jeden Morgen am gesamten Körperstamm und den Unterarmen Jucken, die Haut war gerötet und geschwollen. Urtikaria werden die Beschwerden in der Fachsprache genannt. „Das war unerträglich und sah natürlich auch unschön aus. Der ganze Spuk dauerte meist drei, vier Stunden, erst dann habe ich mich wieder auf die Straße getraut“, erinnert sich die Seniorin. Die Hauttests bei der Allergologin gaben schließlich den entscheidenden Hinweis: Die Tests waren für viele Nahrungsmittel und Hausstaubmilben positiv.

Immunsystem und Haut altern mit

„Ältere haben sogar ein höheres Risiko eine Allergie auf Lebensmittel zu entwickeln, als Jüngere – Grund sind Veränderungen im Immunsystem“, erklärt Larissa Brophy vom Mount Carmel College in Columbus, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Ohio. Die Ernährungswissenschaftlerin nennt auch den Grund dafür: Das Immunsystem verändert sich im Laufe des Lebens. Besonders die Mastzellen, die helfen, Allergien zu verhindern, funktionieren im Alter nicht mehr so gut.
Zudem produziert der Magen weniger Säure, so dass Nahrungs-Eiweiße über die Darmschleimhaut zurück in den Körper gelangen. Sie würden ansonsten einfach ausgeschieden.

Nicht nur im Körper sinkt die Schutzfunktion, auch die Haut wird durchlässiger für Schadstoffe. Der Wassergehalt der Haut nimmt ab, sie wird trocken und rissig. So dringen Schadstoffe aus Salben, Putzmitteln oder Kosmetika ein. Auch der seit Jahren am Finger oder in den Ohren getragene Nickelschmuck kann dann plötzlich zum Problem werden.

Umwelt und Essgewohnheiten verändern sich

Ein weiteres Risiko für im Alter neu auftretende Allergien sind Luftschadstoffe. Feinstaub, Rußpartikel und Stickstoffdioxid (NO2) verbinden sich mit eigentlich harmlosen Blütenpollen. Die so veränderten Pollen stuft das Immunsystem als gefährlich ein und bildet Antikörper.

Heuschnupfen und Co. können Wegbereiter eines allergischen Asthmas sein. So fanden Anahí Yánez und ihr Team vom Forschungszentrum für Allergie und Lungenerkrankungen in Buenos Aires, Argentinien, heraus, dass jedes zehnte allergische Asthma erst nach dem 60. Lebensjahr auftritt. Die meisten Betroffenen hatten zusätzlich allergischen Schnupfen (Yánez et al. 2018). Yánez ist Spezialistin für Allergologie und Immunologie. Für sie steht fest: Asthma muss man auch bei Älteren als Ursache für chronischen Hustenreiz und Atemnot in Betracht ziehen.

Nicht nur die Umwelt ändert sich im Laufe des Lebens, sondern auch unsere Essgewohnheiten und die Reaktion des Körpers auf bestimmte Inhaltsstoffe. Menschen in jedem Alter probieren neues Obst und Gemüse oder exotisch gewürzte Gerichte aus fernen Ländern aus. Auch das kann zu Nahrungsmittel-Allergien führen. Sie sind im Alter keine Seltenheit: Eine Studie aus dem Jahr 2011 fand bei jedem vierten Menschen im Pflegeheim IgE-Antikörper gegen Lebensmittel (Bakos N et al. 2006).

Die richtige Diagnose führt zum Behandlungserfolg

Allergien lassen sich im Alter genauso gut behandeln wie bei jungen Menschen. Neben der sorgfältigen Diagnose fragen die Behandelnden auch nach schon bestehenden Erkrankungen und nach Medikamenten. Der Grund: Gingen frühere Studien davon aus, dass Medikamentennebenwirkungen keine allergischen Reaktionen sind, widerlegt dies eine aktuelle Studie eindrücklich. Fast jeder dritten Nebenwirkung lag eine allergische Immunantwort zugrunde (Ventura et al. 2018).

Auch bei Frau Gösser führte erst die Fährte über die Medikamenteneinnahme zur richtigen Diagnose. Nachdem weder das Weglassen der Lebensmittel noch neue Bettwäsche und ausreichendes Lüften die Beschwerden besserten, fragte ihr Arzt nach ihren Medikamenten. Als Schutz vor Gefäßverkalkungen nahm die Rentnerin jeden Tag eine kleine Dosis Azetylsalizylsäure (z.B. ASS, Aspirin). Als Frau Gösser das Medikament absetzte, verschwanden die Hautveränderungen. „Endlich fühle ich mich wieder wie ein richtiger Mensch. Erstaunlich finde ich, dass ein so nützliches Mittel auch schaden kann.“

 

Weitere Informationen

Quellen

Yánez A et al. Clinical characteristics and comorbidities of elderly asthmatics who attend allergy clinics. Asthma Res Pract. 2018 Apr 23;4:5.

Bakos N. et al. Risk assessment in elderly for sensitization to food and respiratory allergens. Immunol Lett. 2006;107(1):15-21. 

Ventura et al. Importance of hypersensitivity in adverse reactions to drugs in the elderly. Clin Mol Allergy. 2018;16:7.