1. September 2020
Mehr Klimawandel, stärkere Allergien?

Die Sonne brutzelt auf die Haut und es wird wärmer, das kann man sehen und spüren. Andere Folgen des Klimawandels sind schwerer erkennbar. Sie betreffen zwar nicht nur Menschen mit Allergien – aber auch.

Besonders betreffen wird der Klimawandel Menschen mit chronischen Erkrankungen – neben Älteren, Schwangeren, Säuglingen, Kindern und Menschen, die im Freien arbeiten. Das prognostiziert GERICS, ein von der Bundesregierung eingerichtetes Institut, das sich mit Klimawandel-Folgen beschäftigt. Bei einer Erderwärmung von 1,5° Celsius werden klimabedingte Risiken für die Gesundheit zunehmen, bei zwei Grad Celsius werden sie noch weiter steigen. So steht es im Sonderbericht des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC), einer Institution der Vereinten Nationen.

Was bedeutet das für Menschen mit Allergien?

Zunächst einmal: Die Häufigkeit allergischer Krankheiten ist seit den 1970er Jahren in Ländern mit westlichem Lebensstil ohnehin gestiegen – und pendelt sich seit einigen Jahren ein. Die Zahl der Menschen, die an Asthma bronchiale erkranken, nimmt allerdings immer weiter zu (RKI 2013).

 

Warum das so ist, weiß die Forschung noch nicht ganz genau. Dass Umwelteinflüsse ein wichtiger Faktor sind, steht für die Wissenschaft aber inzwischen fest. Der Klimawandel wird Menschen mit Allergien das Leben nicht leichter machen – im Gegenteil. Hier sind die Gründe (GERICS 2020):

 

  • Die Pollensaison dauert länger. Wenn es wärmer ist, blühen allergieauslösende Pflanzen wie Birken und Gräser länger.
  • Es gibt mehr Pollen. Pflanzen brauchen Kohlendioxid zum Wachsen und zur Pollenproduktion. Die Konzentration von Kohlendioxid in der Luft nimmt zu, damit gibt es auch mehr Pollen.
  • Pollen verbreitet sich stärker als früher. Warme Luftmassen tragen Pollen weiter als kühle.
  • Neue allergene Pflanzen kommen hinzu: Pflanzen, die eigentlich aus wärmeren Regionen stammen, werden durch den Temperaturanstieg inzwischen auch hierzulande heimisch.
    Ein Beispiel: der Wilde Hanf (Ambrosia artemisifolia). Seine Pollen sind starke Allergieauslöser. Weil er von Juli bis Oktober blüht, verlängert er zusätzlich die Pollensaison. Eine EU-weite Studie geht davon aus, dass in den nächsten 20 bis 40 Jahren rund 77 Millionen Europäer allergisch auf die Pollen des Wilden Hanfes reagieren werden – im Moment sind es 33 Millionen (Lake 2017).
  • Die Pollen könnten stärker allergieauslösend (allergener) werden als bisher. Höhere Temperaturen steigern zum Beispiel die Produktion eines bestimmten Pollenallergens der Birke. Die Wissenschaft ist sich allerdings unsicher, wie stark dieser Effekt wirklich sein wird.
  • Luftschadstoffe erhöhen die allergische Wirkung von Pollen. Dieser Effekt kommt vor allem in Ballungsgebieten mit viel Verkehr zum Tragen.

 

Welche Rolle spielt Luftverschmutzung?

Mit dem Klimawandel nimmt die Zahl heißer Tage zu. Dies führt normalerweise zu mehr Feinstaub in der Luft und zu mehr bodennahem Ozon – vor allem in Ballungsgebieten:

Ozon reizt die Atemwege und beeinträchtigt die Lungenfunktion. Damit wird es gerade für Menschen mit allergischem Asthma verstärkt zum Problem.

 

Feinstaub aus der Verbrennung von Diesel stuft die Weltgesundheitsorganisation als „sicher krebserregend“ ein. Außerdem lösen die Partikel sehr leicht Entzündungen der Atemwege aus (Guarnieri 2014).
Der Feinstaub ist kleiner als zehn Mikrometer (zehn Millionstel Meter). Damit ist er so winzig, dass er in der Schwangerschaft sogar auf die kindliche Seite des Mutterkuchens (Plazenta) gelangt – das heißt, Feinstaub ist vermutlich noch in der Schwangerschaft im Körper des Ungeborenen (Bové 2019).

 

Eine Studie in der kanadischen Stadt Vancouver hat alle dort geborenen Kinder zehn Jahre lang beobachtet. Die Forschenden haben nicht nur die medizinischen Daten ausgewertet, sie haben sie auch nach der Postleitzahl geordnet, in der das Kind wohnte. Ein Ergebnis: Wohnten die Kinder in einem eher armen Stadtbereich, war ihr Risiko höher, schon im Vorschulalter an Asthma zu erkranken. Wohnte die Mutter während der Schwangerschaft in der Nähe einer Autobahn, stieg das Asthma-Risiko für das Kind um 25 Prozent (Sbihi 2016).

 

Quellen

Bové H et al. Ambient black carbon particles reach the fetal side of human placenta. Nat Commun 2019;10,3866.

 

Climate Service Center Germany (GERICS) Gesundheit und Klimawandel. 2020, 2. Auflage
Letzter Abruf online: 20.08.2020

 

Guarnieri M, Balmes JR. Outdoor air pollution and asthma. Lancet 2014;383(9928):1581-92

 

IPCC. Summary for Policymakers In IPCC Special Report on climate change, desertification, land, degradation, sustainable land management, food security, and greenhouse gas fluxes in terrestrial ecosystems. 2019
Letzter Abruf online: 22.08.2020

 

Lake IR et al. Climate change and future pollen allergy in Europe. Environ Health Perspect 2017; 125:385-91

 

Robert Koch-Institut. Themenschwerpunkt Chronische Erkrankungen: Allergien und atopische Erkrankungen.
Letzter Abruf online: 22.08.2020

 

Sbihi H et al. Perinatal air pollution exposure and development of asthma from birth to age 10 years. Eur Respir J. 2016;47(4):1062-71