Dieses Thema begegnet mir häufig. Ich werde oft gefragt in welchem Umfang man vor allem die Vorgesetzten „einweihen“ soll und muss. Schaut man sich das deutsche Arbeitsgesetz an, so müsste man überhaupt keine gesundheitlichen Informationen an Vorgesetzte, Kollegen und Kunden in Sachen Nahrungsmittelallergien weitergeben. Die Realität gestaltet sich oft ganz anders. Wir verhalten uns im Berufsalltag teils anders und unser berufliches Umfeld bemerkt dies natürlich früher oder später. Sei es beim mittäglichen Essen in der Kantine, bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes, bei Terminen, Fortbildungen, Geschäftsessen, Kollegengeburtstagen oder weiteren beruflichen Situationen.
Wie in fast allen Lebenssituationen befürworte ich den konstruktiven Umgang mit unseren Einschränkungen und dem „etwas Anderssein“. Im Berufsleben aber nur so viel als nötig.
In einem Bewerbungsgespräch empfehle ich nicht, ein Allergie- oder Intoleranzthema anzusprechen. Treffen wir die Wahl, uns einer neuen beruflichen Herausforderung zu stellen, so haben wir den vakanten Job vorher so gut als möglich ausgewählt und recherchiert. Das bedeutet, wir haben nicht nur die Stellenbeschreibung sehr genau gelesen, sondern uns auch über das Unternehmen informiert. Auf diese Weise kann man sich schon vor dem ersten Bewerbungsgespräch ein gutes Gespür entwickeln. Ein wichtiges Kriterium, ob ein Job zu uns passt, ist die fachliche Qualifikation. Darüber hinaus müssen sich beide Seiten miteinander wohlfühlen. Menschen mit Nahrungsmittelallergien sind nicht weniger leistungsfähig und – wenn das passende Allergenmanagement möglich ist – auch nicht häufiger krank. Hier dürfen wir also durchaus selbstbewusst agieren.
Wenn wir den neuen Job bekommen haben, stellen sich im täglichen Berufsleben neuen Herausforderungen. Wir möchten weder eine Extrawurst sein, noch zu einer gemacht werden. Wir wünschen uns einfach nur, dass alles so normal wie möglich abläuft, oder?
Wenn wir mit einer Nahrungsmittelunverträglichkeit in ein neues Arbeitsverhältnis eintreten, ist Fingerspitzengefühl gefragt. Zum einen möchten wir vermeiden, dass unsere Nahrungsmittelunverträglichkeit das erste (und vielleicht auch das einzige) ist, was sich die neuen Kollegen merken. Zum anderen lässt es sich in bestimmten Situationen gar nicht vermeiden, darauf aufmerksam zu machen. Noch vertrackter wird es, wenn es sich um eine schwere Nahrungsmittelallergie handelt, bei der schon kleinste Mengen eines Allergens zum Beispiel in der Gemeinschaftsküche dafür ausreichen können, dass der eigene Körper reagiert. Wie offen man die eigene Allergie kommuniziert, hängt sicherlich auch davon ab, wie sehr das Verhalten der anderen ein Thema für die eigene Gesundheit ist. Menschen, die zum Beispiel anaphylaktisch auf Nüsse reagieren, sollten spätestens davon erzählen, wenn es zum Beispiel darum geht, das gemeinsame Frühstücksbuffet für das Team-Event zu organisieren. Besser ist es wahrscheinlich, von Anfang an offen damit umzugehen. Dann haben auch die anderen die Chance, Rücksicht zu nehmen. Wer schon auf Spuren reagiert und die Gemeinschaftsküche benutzen möchte, kann seine Kollegen darauf ansprechen, ob sie bereit sind, auf den Einsatz von Nüssen in der gemeinsamen Küche zu verzichten. Sollte die Antwort positiv sein, ist es hilfreich, ein nettes Poster (zum Beispiel eine schöne Zeichnung) oder ein informatives Memo aufzuhängen.
Wenn sich unsere gesundheitliche Situation während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses verändert, ist es manchmal schwieriger mit der Einschränkung umzugehen, als wenn man sie von Anfang an „dabei“ hat. Für uns selbst ist die Situation neu, für unser berufliches Umfeld ist sie vielleicht unverständlich. Schließlich waren wir ja vorher auch nicht beeinträchtigt. Dass eine Diagnose oft auch die Antwort auf einen langen Leidensweg im Stillen sein kann, ist eine persönliche Information, die wir vielleicht nicht jedem erzählen möchten. Deshalb gilt auch hier: Der Moment entscheidet. Ist es ein vertrautes Gespräch beim Mittagessen mit einem langjährigen Kollegen? Oder wird gerade das Weihnachtsmenü bestellt? Oder unterhalten sich fünf Kollegen aus einer anderen Abteilung darüber, dass ja neuerdings jeder etwas anderes nicht isst? Euer Gespür und auch eure Tageslaune werden euch leiten. Oft hilft es Verständnis zu schaffen, indem man sein berufliches Umfeld mit sachlichen Informationen ins Boot holt. Was habe ich? Was bedeutet das für meinen Körper und was passiert bei einem Diätfehler?
Leider habe ich auch schon von Hänseleien und leider auch von Mobbing gehört. Ist man im beruflichen Umfeld einer harten Konkurrenz ausgesetzt, so kann eine vermeintliche Schwäche – egal welcher Art – genutzt werden, um Mitbewerber aus dem Rennen zu werfen. Diese Situationen sind sehr individuell. Hier einen generellen Ratschlag zu erteilen halte ich nicht für richtig. Ich persönlich verfahre seit ich 18 Jahre alt bin nach dem Prinzip: Tut mir eine Lebenssituation nicht gut, ändere ich diese. Das betraf und betrifft auch immer meine eigene berufliche Situation.
Wenn man uns nach einem idealen Arbeitsumfeld fragt: Was kann das sein?
Ich denke, vor allem an tolerante Vorgesetze und Kollegen. Kunden sicherlich auch, das tendiert meiner Meinung nach aber nach dem Schwerpunkt der Tätigkeit. Mit der Toleranz ist meiner Meinung nach schon viel „gewonnen“.
Ideal wäre sicherlich ein Umfeld, das sich einigermaßen optimal auf unsere jeweiligen Einschränkungen einstimmt. Dazu gehören neben „open minded“ Vorgesetzten, Kollegen und Kunden zum Beipiel auch eine Kantine, die zumindest ein Gericht täglich kocht, das wir vertragen können. Optimalerweise würden Seminar-Verpflegung, Geschäftsreisen, etc. nach unseren Bedürfnissen gebucht werden. Nölige Kollegen braucht niemand!
Zum perfekten Szenario gehören natürlich auch wir selbst! Wir können Dinge bewegen, in dem wir konstruktiv und transparent zum geeigneten Zeitpunkt unsere Themen kommunizieren!
20. Oktober 2016, Autor: Stefanie Grauer-Stojanovic