E: Josefine, kannst du uns sagen, wie ein ganz normaler Arbeitstag für dich aussieht?
J.G.: Im Klinikalltag gibt es wenig normale Tage, aber einige Dinge kommen immer wieder. Zum Beispiel habe ich viele Sprechstunden, in denen ich Patienten berate. Außerdem mache ich jede Woche Nahrungsmittelprovokationen.
E: Was genau ist eine Provokation?
J.G.: Wenn ein Patient in die Sprechstunde kommt und allergische Beschwerden nach dem Essen hat, alle bisherigen Untersuchungen jedoch keinen eindeutigen Auslöser ergeben haben, dann überlegen wir, welche Nahrungsmittel als Ursache getestet werden sollen. Wenn der Patient dann auf der Station zur Provokation da ist, mische ich einen Brei an, der allergenarm ist, auf den man also keine Reaktion haben kann. Mit Kakao und Beta-Carotin verändere ich die Farbe des Breis. Mit einem Sirup, zum Beispiel Pfefferminzsirup, ändere ich den Geschmack. Damit verstecke ich das Allergen – im Fachjargon heißt das verblinden. Ein Brei mit Sellerie und ein Brei ohne Sellerie schmecken hinterher genau gleich und sehen auch genau gleich aus. Der Patient und der Arzt können und sollen nicht wissen, ob gerade der Placebo-Brei oder der allergenhaltige Brei auf dem Tisch steht.
E: Du bist also die einzige, die weiß, welchen Brei der Patient gerade bekommt?
J.G.: Ja, genau. Während der Provokationen bin ich viel im Hintergrund und vermeide auch den Kontakt mit den Patienten, um niemanden zu beeinflussen. Es ist ganz wichtig, dass sie an meinen Fragen oder meinem Gesichtsausdruck nicht erkennen können, was sie vor sich haben. Der Stationsarzt, der nicht weiß, was im Brei ist, verabreicht die von mir zubereiten Speisen. Die Angst vor einer allergischen Reaktion kann heftige, körperliche Reaktionen auslösen, die einer allergischen Reaktion ähnlich sind. Wenn das passiert, ist es für den Arzt schwierig zu entscheiden, ob er die Provokation fortsetzen kann oder nicht. Das kann im Falle eines Abbruchs bedeuten, dass wir letzten Endes nicht herausfinden, worauf das Immunsystem eines Patienten reagiert.
E: Müssen alle Menschen, die eine Nahrungsmittelallergie haben, eine Provokation machen?
J.G.: Nein. Provokationen werden nur gemacht, wenn der Patient sich nicht sicher ist, welche Lebensmittel vertragen werden und gleichzeitig durch das Arzt-Gespräch, den Bluttest oder andere Untersuchungsverfahren keine Sicherheit hergestellt werden kann.
E: Was sind die Aufgaben einer Diätassistentin?
J.G.: Provokationen sind nur in meinem Bereich – also in der Allergologie – an der Tagesordnung. Eine Diätassistentin, die in einer Klinik arbeitet, muss sich mit verschiedenen Krankheitsbildern auskennen und ärztliche Diagnosen einordnen können. Sie stellt bei einer ernährungsbezogenen Erkrankung die Ernährungsdiagnose und entwickelt einen Therapieplan. Sie spricht auch mit dem Patienten nochmal alle Aspekte durch, da ein Arzt nicht immer die Zeit und die Möglichkeit hat, auf alle Details einzugehen. In einer Krankenakte ist zum Beispiel selten vermerkt, ob jemand für sich alleine kocht oder eine ganze Familie mit Essen versorgt. Das sind für eine Diätassistentin wichtige Informationen. Es gibt aber auch selbstständige Diätassistentinnen, die nicht in einer Klinik arbeiten, sondern eine eigene Praxis haben.
E: Warum hast du dich für diesen Beruf entschieden?
J.G.: Mein Wunsch war immer schon, im medizinischen Bereich mit Patienten zu arbeiten. Eine Tätigkeit als Arzt oder Arzthelferin kam für mich nicht Frage, da ich mich nicht überwinden kann Blut abzunehmen oder Spritzen zu verabreichen, auch bis heute nicht. Ich wollte praktisch arbeiten, deshalb habe ich mich für die Ausbildung zur Diätassistentin entschieden.
E: Du hast eine Spezialisierung für Allergien. Was bedeutet das?
J.G.: Nach der dreijährigen Berufsausbildung ist jeder Diätassistent umfassend qualifiziert. Aber sehr spezielle Fragen werden durch die Ausbildung nicht in der Tiefe abgedeckt. Deshalb habe ich beim Berufsverband der Diätassistenten eine zertifizierte Weiterbildung zum Thema allergologische Ernährungstherapie gemacht.
E: Gab es einen Moment in deinem Berufsleben, über den du dich besonders gefreut hast?
J.G.: Den gibt es immer wieder. Wenn ich einem Patienten in einer schweren Situation helfen konnte. Das ist für mich das Schönste.
E: Machen Ernährungsberater und Diätassistenten eigentlich das gleiche?
J.G.: Nein. Ein Diätassistent hat eine anerkannte dreijährige Ausbildung absolviert. Ein Ernährungsberater hat sich fortgebildet, meist in einem mehrwöchigen Kurs. Diätassistenten haben viel medizinisches Wissen, sie beraten Menschen, die unter einer Erkrankung leiden und Fachberatung brauchen. Ein Ernährungsberater unterstützt Menschen, die gerne gesund bleiben wollen und zum Beispiel im Fitnessstudio besser Muskeln aufbauen möchten.
E: Wie kann ich einen Diätassistenten oder eine Diätassistentin in meiner Nähe finden?
J.G.: Der einfachste Weg ist, bei der eigenen Krankenkasse anzufragen, wo im Umkreis eine Diätassistenten zu finden ist. Über die Berufsverbände wie dem Verband Deutscher Diätassistenten, dem Berufsverband Oecotrophologie oder beim Verband für Ernährung und Diätetik kann man sich auf den Webseiten informieren, wo in der Nähe Ernährungsfachkräfte tätig sind.
E: Werden die Kosten von den Krankenkassen übernommen?
J.G.: In der Regel sind es etwa 80% der Kosten, die von den Kassen übernommen werden. Voraussetzung für die Kostenübernahme ist eine ärztliche Verordnung der Ernährungstherapie.
E: Warum ist es wichtig, bei einer Allergie den Rat einer Fachfrau oder eines Fachmanns einzuholen?
J.G.: Meine Erfahrung ist, dass die meisten Menschen mit Nahrungsmittelallergien auf mehr verzichten als sie eigentlich müssten. Oft beziehen Patienten aus dem Internet ganze Listen mit Zutaten, die man bei einer Allergie X meiden sollte. Eine Diätassistentin hilft dabei, ein besseres und genaueres Wissen darüber zu erlangen, welche Lebensmittel möglich sind und welche nicht.
E: Hast du einen besonderen Tipp für Menschen mit Nahrungsmittelallergien?
J.G.: Lassen Sie sich beraten. Und nicht unterkriegen lassen! Es ist ja mittlerweile Lifestyle, bestimmte Dinge nicht zu essen. Dadurch haben es Nahrungsmittelallergiker zum Beispiel in Restaurants unnötig schwer, weil sie nicht richtig ernst genommen werden. Mein Rat: Nicht beeindrucken lassen. Dranbleiben und sagen, was man möchte und was nicht!
Wir danken Josefine Grünhagen für dieses Interview. Mit ihr gesprochen hat Dr. Cosima Scholz von ECARF.
Das Interview wurde im Oktober 2020 aktualisiert.